Warum Corona die „große Ungleichmacherin“ ist und Impfungen „Opfer ihrer eigenen Erfolge“, erläutert der Historiker Malte Thießen. Im Interview spricht er über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von COVID-19- und früheren Pandemien, die lange Geschichte der Impfkritik mit ihrem Grundprinzip des Survival of the Fittest sowie das fehlende Langzeitgedächtnis in Gesundheitswesen und Politik.
Muss der Staat in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie dem Lebens- und Gesundheitsschutz alles andere unterordnen, wie Jürgen Habermas argumentiert? Roland Lhotta hält einer solchen Verabsolutierung als Supergrundrecht das Prinzip der Verhältnismäßigkeit entgegen. Auch das Bundesverfassungsgericht habe die notwendige Abwägung von Sicherheit und Freiheit in seinem Urteil zur Bundesnotbremse vernachlässigt und dem Gesetz- und Verordnungsgeber sein sträflich fortgesetztes Unwissen noch ermessensspielraumerweiternd gutschreibt.
Die Coronapandemie ließ die ohnehin vorhanden gravierenden gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht etwa nur deutlicher zutage treten, vielmehr wurden sie durch die staatlichen Eindämmungsmaßnahmen sogar weiter vertieft, so Christoph Butterwegge, der die zunehmende Polarisierung auf der gesundheitlichen, ökonomischen, sozialen, sozialräumlichen und politischen Ebene beschreibt.
In der Corona-Pandemie waren Wissen und Einschätzungen medizinischer Expert:innen medial stark gefragt. Wie sich die Wissenschaftler:innen bei ihren Medienauftritten schlugen und welche Lektionen sich für künftige Wissenschaftskommunikation ziehen lassen, analysieren Lisa Rhein und Nina Janich.
Wie die Bundesrepublik mit den drei drängendsten gegenwärtigen Herausforderungen – Corona-Pandemie, Klimawandel und Ukrainekrieg – umgeht und ob sie der daraus erwachsenden Probleme Herr werden kann, mit diesen Fragen befasst sich INDES-Herausgeber Frank Decker in seinem Beitrag über „die deutsche Demokratie im neuen Krisenzeitalter“.
Wie sich die Arbeitswelt im Zuge der Corona-Pandemie verändert hat, was davon bleiben wird und ob wir tatsächlich auf eine „Homeoffice-Kultur“ zusteuern – diese Fragen beantwortet der Soziologe Berthold Vogel im Interview. Mit dezentraleren Arbeitsorten drohe einerseits eine Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, andererseits eröffneten sich „neue Freiheitsräume“ – daher plädiert Vogel dafür, zukünftig Erwerbsarbeit und Lebenswirklichkeit stärker zusammenzudenken und besonderes Augenmerk auf die Gestaltung von Arbeit zu richten.
Die Universitäten standen während der Coronakrise alles andere als im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Oberflächlich schien an den Hochschulen die Umstellung auf digitale Lehre gerade im Vergleich zu den Schulen gut zu laufen. Untergründig traf das Virus hier indes auf bereits zuvor zugespitzte Problemlagen des wissenschaftlichen Arbeitens. Wie diese durch die Corona-Pandemie weiter verschärft wurden und was es bräuchte, um die deutsche Wissenschaftslandschaft wirklich krisenfest zu machen, analysieren die Initiator:innen von #IchBinHanna in ihrem Beitrag.
Wenngleich die psychischen Belastungen Heranwachsender laut Studien im Zuge der Pandemie generell deutlich angestiegen sind, zeigt sich eine Schieflage: Während Kinder aus finanzstarken, bildungsbürgerlichen Familien tendenziell von der hinzugewonnen Zeit mit den Eltern profitierten, kamen Kinder aus einkommensschwächeren Familien mit niedrigerem Bildungsgrad mehrheitlich weit weniger gut durch die Pandemie, was durch die mangelnde technische Ausstattung der Schulen und die fehlenden digitalen Kompetenten der Lehrer:innen noch verschärft wurde. Der Bildungsforscher Dieter Dohmen zeigt anhand zahlreicher Studien, dass die Lockdowns die soziale Spaltung in der Schülerschaft vertieft haben und die Corona-Pandemie somit zu einer Verstärkung der bereits bestehenden sozialen Segregation im Bildungssystem beigetragen hat.
Die Corona-Krisensituation war auch Nährboden für antisemitische Vorfälle. Neben Verschwörungsmythen spielte dabei auch eine Selbstviktimisierung von Gegnern der Coronamaßnahmen als vermeintliche „neue Juden“ eine große Rolle. Anhand zahlreicher Beispiele geben Bianca Loy und Daniel Poensgen vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) einen Überblick über das changierende, aber keineswegs schwindende Phänomen der Judenfeindlichkeit.
Pandemie und Populismus – wie geht das zusammen? In der AfD gab es hierzu durchaus unterschiedliche Haltungen und Strategien, wie Paula Tuschling in ihrem Beitrag zeigt. Während der Rest der Opposition in der Stunde der Exekutive konsensual auftrat, bot sie nach anfänglichem Mäandern eine anti-elitär und libertär grundierte „Alternative“ mit einigen logischen Inkonsistenzen infolge des Versuchs, eine Brücke zu verschwörungsideologischen Querdenker:innen zu schlagen.
Welche Erkenntnis ist aus Ihrer Perspektive die relevanteste? Was hat Sie am meisten überrascht? Zehn Vertreter:innen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen – von Soziologie und Politikwissenschaft über Rechts- und Religionswissenschaft bis hin zu Philosophie und Zeitgeschichte – haben diese Fragen kurz und prägnant beantwortet. In der Zusammenschau ergibt sich eine facettenreiche Collage von Perspektiven auf die Corona-Pandemie, die anschaulich illustriert, dass erst der kollektive Blick diese krisenhafte Zeit in ihrer Gänze zu erfassen vermag.
Das Mea Culpa von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum missratenen „Osterruhe“-Lockdown nimmt Volker Best in seinem Beitrag mit Hilfe einer Typologie politischer Entschuldigungen auseinander. Anders als viele von der demonstrativen Demut der Kanzlerin beeindruckte mediale Kommentare diagnostiziert er ein Ablenkungsmanöver und eine Selbsterhöhung durch Selbstbezichtigung.
Als die Menschen zu Beginn der Corona-Pandemie plötzlich vor leeren Supermarktregalen standen und alltägliche Konsumgüter nicht mehr selbstverständlich verfügbar waren, gewann ein vormals eher als abseitiges Hobby geltendes Phänomen an Aufmerksam und Popularität: das sog. Preppen. Warum Preppen im Unterschied zur klassischen Vorratshaltung eine Freizeitaktivität, ja Lebensstilentscheidung und damit weniger Ausdruck einer krisenhaften Warenknappheit, sondern – im Gegenteil – eher Symptom einer Überflussgesellschaft ist, schildert Julian Genner.
Durch digitale Kontaktnachverfolgung (etwa die Corona-Warn-App in Deutschland) sollten die Risiken eine Infektion während der pandemischen Krisensituation minimiert werden. Diese Form der Selbstüberwachung des sozialen Lebens durch die Algorithimisierung von Risiken und die damit verbunden gesellschaftlichen Ambivalenzen problematisieren Dennis Krämer und Joschka Haltaufderheide.
Wo sehen Sie Leerstellen und Desiderate? Worüber wurde – und wird – zu wenig gesprochen? Zehn Vertreter:innen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen – von Soziologie und Politikwissenschaft über Rechts- und Religionswissenschaft bis hin zur Philosophie und Zeitgeschichte – haben diese Fragen kurz und prägnant beantwortet. In der Zusammenschau ergibt sich eine facettenreiche Collage von Perspektiven, die zeigt, dass die Corona-Pandemie längst nicht erschöpfend erforscht ist und je nach wissenschaftlichem Interesse noch einige Phänomene ihrer Ergründung harren.
Im Kontext des globalen Konkurrenzkampfes der Corona-Krisenbewältigung, die je nach politischem System ganz unterschiedlich ausfiel, fokussiert Philip Ther das kritische Agieren der EU, zeigt deren institutionelle Herausforderungen auf und beschreibt nationale Disparitäten im Umgang mit der Pandemie.
Krisenzeiten sind seit jeher Hochzeiten beherzter Heldenfiguren – das gilt auch heute noch, wie Tilo Wagner am Beispiel Portugals zeigt. Binnen eines Jahres avancierte das COVID-19-geplagte Sorgenkind Europas zum weltweit ersten Land mit einer Impfquote von 85% – und zwar unter der Ägide des Marineoffiziers Henrique de Gouveia e Melo, der als populärer „Impf-Admiral“ geradezu heroisch gefeiert wurde.
In seinem Beitrag schildert Biao Xiang die Absurditäten des rigiden Lockdowns in Shanghai. Die Regierung charakterisiert er in diesem Zusammenhang als „antisoziale Macht“, die nicht nur die Rechte Einzelner unterdrückte, sondern die sozialen Beziehungen von innen heraus zerstörte.
Können Sie der Pandemie beziehungsweise ihren Begleitumständen auch Positives abgewinnen? Zehn Vertreter:innen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen – von Soziologie und Politikwissenschaft über Rechts- und Religionswissenschaft bis hin zur Philosophie und Zeitgeschichte – haben diese Frage kurz und prägnant beantwortet. In der Zusammenschau ergibt sich eine facettenreiche Collage von Perspektiven auf Corona, die den Weg weist, wie sich – bei allen fraglos fatalen Auswirkungen – aus der Pandemie auch fruchtbare Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen lassen.
Wie kann eine kritische Theorie der pandemischen Gesellschaft aussehen, die weder die zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens notwendigen Maßnahmen populistisch abtut noch deren krisenhafte Auswirkungen ignoriert? Edgar Hirschmann kommt in seinem Beitrag ausgehend von der Viruszelle als zentraler Pandemieakteurin zum Befund einer biopolitischen Kolonialisierung.
Medizinische Schutzmasken und Theatermasken auf der Bühne – dass diese beiden Formen der Gesichtsverhüllung grundsätzlich verschieden sind und doch miteinander verwoben (werden), darüber reflektiert die Politikwissenschaftlerin und Dramaturgin Viola Köster in ihrem Beitrag über die Verquickung von Theater und politischer Realität. Es geht um die Illusion authentischer Repräsentation in Gesellschaft und Politik und um die lange Tradition der Angst vor den Masken, die während der Corona-Zeit erneuten Aufschwung bekommen zu haben scheint.
Die Coronapandemie hat die Optionen der Freizeitbeschäftigung stark eingeschränkt, insbesondere in den Lockdown-Phasen. Viele Menschen entdeckten in dieser Situation Gesellschaftsspiele (wieder) für sich. Welche Spielegattungen während Corona besonders stark nachgefragt wurden, welche psychologischen Mechanismen dem Spielen allgemein und während der Pandemie im Besonderen zugrunde liegen und wie die Spieleverlage das Virus-Motiv aufgriffen, beleuchtet Christina Nover in ihrem Beitrag.
Einsamkeit ist ein gesellschaftlich verbreitetes, aber im öffentlichen Diskurs lange weitgehend tabuisiertes Phänomen. Durch die Corona-Pandemie, die durch Lockdowns und andere Beschränkungen die Gruppe der von Einsamkeitsgefühlen Betroffenen ausweitete, hat sich dies ein Stück weit geändert. Anna-Lena Wilde-Krell plädiert in ihrem Beitrag für ein Bündel an Maßnahmen zur Minimierung von Einsamkeitsrisken, zumal dieses Phänomen auch eine politische Dimension aufweist.
Das Recht ist eine unverzichtbare Säule jeglichen Zusammenlebens – doch die in der Politik geschaffenen Rechtsvorgaben erreichen die Bürger:innen oft nicht bzw. bleiben ihnen unverständlich, weil es an grundlegenden Kenntnissen fehlt. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, plädiert der Rechtswissenschaftler Andreas Gran für eine juristische Breitenbildung, mit der sich zahlreiche Missverständnisse vermeiden und das gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Miteinander signifikant erleichtern ließen.