Pandemische Selbstüberwachung Zwischen sozialer Singularisierung und technischer Sozialität

Von Dennis Krämer  /  Joschka Haltaufderheide

»Eine Krise ist jener ungewisse Zustand, in dem sich etwas entscheiden soll: Tod oder Leben – Ja oder Nein.«[1] In der Situation der multiplen Krise hat Kurt Tucholskys existenzieller Sinnspruch etwas Befreiendes: die Vorstellung von einer singulären Krise, die es zu überwinden gilt und deren Auflösung mit der größten aller Segnungen honoriert wird: dem Leben.
Gewiss lässt sich die aktuelle Lage nicht simplifizieren und nicht trennscharf kategorisieren. Dies liegt weniger in der generellen Unberechenbarkeit begründet, die Krisen als genuine Risikoereignisse auszeichnet, als vielmehr in ihrer pluralen Gleichzeitigkeit: Angesichts der gegenwärtig vorherrschenden pandemischen, klimatischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen und ihrer gegenseitigen Intensivierung lässt sich nur schwer sagen, was alles von Krise betroffen und wie resilient eine Gesellschaft ist, um nach drei Jahren Leben mit Corona auch weiterhin massive Einschränkungen zu ertragen. [...]

[1] Kurt Tucholsky unter Pseudonym Ignaz Wrobel, Werke 1927, Deutsche Richter, S. 201.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-4-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022