»Unser Wohlstandsmodell steht auf tönernen Füssen«
Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt
Interview mit Berthold Vogel
Ganz grundsätzlich interessiert uns natürlich: Wie hat die Pandemie die Arbeitswelt verändert?
Die Veränderungen sind vielfältig und vielleicht auch weniger eindeutig als man vermuten könnte. Wir können nicht sagen, dass sich Covid nur negativ ausgewirkt hätte. So haben öffentliche Berufe und Orte, zum Beispiel die Gesundheitsversorgung, die kommunale Verwaltung oder auch die Schulen mehr Aufmerksamkeit erhalten. Wer hatte in den vergangenen Jahren beispielsweise Gesundheitsämter im Blick? Rasch war klar, dass wir öffentliche Güter oder Leistungen der Daseinsvorsorge zu lange stiefmütterlich behandelt haben. Auch die Themen Solidarität und Zusammenhalt wurden aktualisiert. Die Pandemie verdeutlichte, dass wir gesellschaftlich mit Singularität und Selbstsorge nicht weiterkommen. Wir sind aufeinander angewiesen. Das eigene Verhalten hat Bedeutung für andere – und das Verhalten anderer ist bedeutsam für einen selbst.
Dennoch: Es haben sich in der Corona-Zeit auch soziale Abstände und Spaltungen zwischen Branchen und Berufen vertieft. Covid wirkte wie ein Ungleichheitsbeschleuniger. Die Belastungen in der Arbeit waren sehr ungleich verteilt, nicht jeder und jede konnte sich ins Homeoffice zurückziehen. Soziale und produktionsbezogene Berufe trugen ein erheblich höheres gesundheitliches Risiko. Und es zeigte sich auch, dass wir uns als Gesellschaft, aber auch konkret im Arbeitsleben damit schwertun, Solidarität lange auszuhalten. Kurzum, für die Arbeitswelt hatte die Pandemie ambivalente, tendenziell ungleichheitsverstärkende, in jedem Fall konfliktreiche Effekte. [...]
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-4-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022