»Wir selbst sind die Pandemie« Gespräch mit Malte Thießen über Pandemien früher und heute, die Geschichte der Impfskepsis und gesellschaftliche Auswirkungen von COVID-19.

Von Malte Thießen

In Ihrem Buch Auf Abstand, das im September 2021 erschien, haben Sie die Frage aufgeworfen, ob die Corona-Pandemie eine Zeitenwende markiert. Kurz darauf haben wir mit dem russischen Angriff auf die Ukraine laut Bundeskanzler Scholz eine zweite Zeitenwende erlebt. Wie oft und in wie kurzen Abständen kann die Welt eine andere werden? Wie verhalten sich diese beiden Zeitenwenden zueinander?

Wir haben in der Corona-Pandemie wie auch beim Überfall auf die Ukraine gelernt, dass Zeitenwenden immer Kinder ihrer Zeit sind. Vor dem gegenwärtigen Horizont sind Krisen oder Problemlagen, insbesondere wenn sie als neue Bedrohung, als das Unvorstellbare empfunden werden, schnell als Zeitenwende markiert. Ebenso schnell merken wir aber auch, dass die Halbwertszeit von Zeitenwenden überschaubar ist.
Schon in der Pandemie war ein großes Problem, dass der Fokus 2020 fast nur auf Corona lag und andere – ebenfalls höchst relevante – Notlagen kaum mehr Erwähnung fanden. Und das scheint mir auch der Fall zu sein mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Andere Themen wie der Klimawandel geraten angesichts dessen in den Hintergrund. Festzustellen, wie klein also unser Aufmerksamkeitsfenster ist, das ist, wie ich finde, ein sehr interessanter, aber auch erschreckender Lerneffekt [...]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-4-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022