Verschwörungsmythen und Selbstviktimisierung Antisemitische Vorfälle im Kontext der Corona-Pandemie

Von Bianca Loy  /  Daniel Poensgen

Im Frühjahr 2020 schoss die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen in Deutschland in die Höhe, die ersten – und in ihrer Wirkung durchaus dramatischen – staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wurden beschlossen. Für viele Menschen war und ist dies Grund für zahlreiche Ängste – um die eigene Gesundheit, um das Wohlergehen von Freund:innen und Familienmitgliedern, häufig auch um die eigene wirtschaftliche Existenz. Für Jüdinnen:Juden kam eine weitere Sorge hinzu: Würde die Pandemie und die mit ihr verbundene Krise auch zu einem weiteren Anstieg von Antisemitismus führen?
Dass mit der Pandemie auch der Antisemitismus in Deutschland sichtbarer hervortreten würde, dafür sprechen Schilderungen von antisemitischen Vorfällen, die den Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Bundesverband RIAS) oder eine der regionalen RIAS-Meldestellen erreichten. So berichtete eine Frau von einem Gespräch mit einem Taxifahrer im November 2021 in Berlin. Die Frau wollte mit ihrer Tochter zu einer jüdischen Schule gefahren werden. Der Taxifahrer begann während der Fahrt, Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie zu erzählen. Die Frau widersprach dem Fahrer daraufhin und machte deutlich, dass sie hierzu eine andere Auffassung habe. Der Taxifahrer entgegnete: »Hätte ich mir ja denken können, wenn es zu dieser Adresse geht – ist ja auch was Kulturelles, ob man der WHO glaubt, hinter der auch nur die Pharmaindustrie steckt, das ganz große Geld.« Die Frau intervenierte nochmals vehement und beendete das Gespräch. [...]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-4-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022