Das Gespräch mit dem Historiker Bernd Faulenbach über Traditionen, Krisen und Perspektiven der Sozialdemokratie zeigt deren Orientierungspunkte und Schwachstellen auf. Dabei werden Europa, Wege der Mitgliedergewinnung und zukünftige Aufgabe der Sozialdemokratie thematisiert, ohne die Wurzeln jener wirkmächtigen Politik außer Acht zu lassen.
Die Sozialdemokratie verliert nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland immer mehr Wähler an die Rechtspopulisten. Kristina Meyer warnt in ihrem Beitrag die deutsche Sozialdemokratie davor, sich migrations- und einwanderungskritischen Erklärungsmustern der AfD anzupassen. Sie plädiert im Rückgriff auf die Geschichte der SPD in der NS-Zeit dafür, die populistischen und nationalistischen Deutungen der AfD zu entlarven und stattdessen auf eine bürgernahe politische Kommunikation sowie konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen zu setzen.
Thomas Nowotny , ehemaliger österreichischer Diplomat und Sekretär des Bundeskanzlers Bruno Kreisky, hinterfragt in seinem Beitrag die These von Ralf Dahrendorf aus dem Jahr 1983, dass alle Parteien quasi die Kernziele der Sozialdemokratie verfolgen würden und die Sozialdemokratie somit ihren politischen Daseinszweck erfüllt habe. Nowotny zeigt dagegen auf, dass sich die europäische Sozialdemokratie in ganz Europa in der Folgezeit, speziell in den 1990er Jahren, als elektoral sehr erfolgreiche Kraft erwies. Allerdings habe sich die Sozialdemokratie seit den 1980er Jahren an die marktliberale Agenda der parteipolitischen Konkurrenz angepasst und an eigener programmatischer und politischer Substanz eingebüßt, die jetzt den kontinuierlichen Niedergang der sozialdemokratischen Parteien sowie den Aufstieg der Populisten vorantreibe, so Nowotny. Zum Schluss skizziert der Autor Vorschläge für einen neuen Sozialdemokratismus für das 21. Jahrhundert.
Nils Heisterhagen plädiert in seinem Beitrag dafür, dass die SPD die handfesten materiellen Interessen des Facharbeiters, des historischen Subjekts der Arbeiterbewegung, ins Zentrum ihrer Politik stellen sollte, um die zur AfD abgewanderten Wähler zurückzugewinnen. Denn mit „Identitätspolitik“ und „Weltbild-Diskursen“ könne dieser nichts anfangen.
Willy Brandt, Bruno Kreisky, Olof Palme – drei erfolgreich regierende Sozialdemokraten. Was machte ihren politischen Weg aus und wie prägten sie die sozialdemokratische Politik? Der Politikwissenschaftler Lehnert blickt auf das Wirken verschiedener erfolgreicher Sozialdemokraten und zeichnet anhand der politischen Biografien die Geschichte und Entwicklungswege der Sozialdemokratie nach.
Was hat die Welle an Neumitgliedern in der SPD 2017 ausgelöst? War es Martin Schulz? War es eine Aufbruchsstimmung? Diesen Fragen geht ein Forscherteam des Göttinger Instituts für Demokratieforschung nach und stellt in diesem Beitrag erste Forschungsergebnisse vor. Dabei beleuchten sie Entwicklungen innerhalb der SPD und tarieren nun mögliche neue Wege aus.
Nikolaus Kowall kontrastiert in seinem Beitrag verschiedene historische Antworten auf die Frage nach den Kernaxiomen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, beleuchtet dabei die Erfolge und Misserfolge jener Ansätze und wagt sich zuletzt an eine Bewertung des Vergangenen, um Schlussfolgerungen für die Gegenwart zu treffen.
Ein altlinker Hinterbänkler im Rentenalter begeistert junge Briten und motiviert sie dazu, politisch aktiv zu werden. Jeremy Corbyn widerlegt alle möglichen Vorurteile und Erwartungen und hüllt die Labour Party in ein neues Gewand. Klaus Detterbeck blickt auf diese Entwicklung und deutet die Umstände für Corbyns Erfolg, ohne die Folgen für das Parteiensystem und die politische Landschaft des britischen Königreichs zu vernachlässigen.
Thomas Greven macht sich in seinem Text auf die Suche nach linken Perspektiven in den USA. Dabei arbeitet er heraus, dass das, was mit dem linken Hoffnungsträger Bernie Sanders verbunden und als „Demokratischer Sozialismus“ bezeichnet wird, nicht wesentlich über den westeuropäischen Ist-Zustand des Wohlfahrtsstaates hinausgeht. Dass es auch mit dem Internationalismus der amerikanischen Linken nicht allzu weit her ist und warum die Gewerkschaften eher Kandidaten des wirtschaftsfreundlichen moderaten als des linken Flügels der Demokratischen Partei unterstützen – das alles ist in Grevens Text nachzulesen.
Die Parti socialiste (PS) stellte von 2012 bis 2017 mit François Hollande den Staatspräsidenten Frankreichs und schnitt bei den Parlamentswahlen 2012 mit fast 30 Prozent als stärkste Partei ab. Im Jahr 2017 folgte dann der jähe Absturz auf 7,4 Prozent. Die Partei wurde auf den fünften Platz verwiesen. Teresa Nentwig fragte nach den Ursachen dieses außergewöhnlichen Niedergangs, analysiert die von der PS angestrengten Wege aus der Krise und fragt, ob ihr ein Comeback als Regierungspartei gelingen kann.
Der Text „Die soziale Bewegung als Zielbild“ befasst sich mit den Gründen, warum die Organisationsform der Partei gegenüber jener der Bewegung in der jüngeren Vergangenheit so sehr ins Hintertreffen geraten ist und was Parteien dagegen unternehmen können. Im Fokus steht, die durchaus breite Literatur zu Parteireformen überblickend, dabei die Frage, wieso die wiederkehrenden Anläufe zur Parteireform der jüngeren Vergangenheit letztlich sämtlich erfolglos blieben. Wichtige Fingerzeige für eine Antwort auf dieses vermeintliche Dilemma, das zeigt Felix Butzlaff, kann die Modernisierungstheorie geben.
Bernd Stegemann, einer der Initiatoren der Sammlungsbewegung „Aufstehen“, argumentiert in seinem Beitrag, dass eine solidarische Politik derzeit von zwei gegenteiligen Kräften unter Beschuss gerät: von rechtspopulistischen Ressentiments und von einem „linken Moralismus“, der bevorzugt von kosmopolitischen Eliten gepflegt wird. Im Anschluss an Nancy Fraser kritisiert Stegemann, dass die Linke in der jüngeren Vergangenheit die Klassenfrage vernachlässigt und sich zu sehr einer kulturalistischen Identitätspolitik verschrieben hat, die blind ist für das Problem der strukturellen Diskriminierung durch Armut. Es sei daher das Ziel von „Aufstehen“, die soziale Frage wieder in das Zentrum linker Politik zu stellen.
Der Beitrag fragt nach den strukturellen Widrigkeiten, mit denen die maßgeblich von Sahra Wagenknecht initiierte Sammlungsbewegung „Aufstehen“ konfrontiert ist, und nach strategischen Optionen für den Umgang mit diesen Problemen. Die Bewegung stehe, wie alle linkspopulistischen Projekte in Europa, derzeit vor der Frage, ob sie den alten „linken Block“, der Arbeiter und Beamtenschaft gleichermaßen integriert, wiederbeleben oder eine „souveränistische Allianz” der unteren Gesellschaftsschichten schmieden möchte. Die AnführerInnen von „Aufstehen“ seien in dieser Hinsicht noch unentschlossen. In strategischer Hinsicht wäre es für die Bewegung am günstigsten, würde sie ihre migrationspolitischen Positionen möglichst vage halten und ihre Polemik gegen den urbanen Linksliberalismus abschwächen, um ihr einigendes Potential allein aus einer Fokussierung auf das Thema soziale Sicherheit zu generieren.
Christoph Butterwegge sieht angesichts der massiven sozialen Ungleichheit in Deutschland Notwendigkeit und Potenzial für eine linke Sammlungsbewegung. Für deren Erfolg und die Vermeidung einer Spaltung der Linken mahnt er jedoch die Fokussierung auf einen „Minimalkonsens“ an. Drei Kernaufgaben müsse die Sammlungsbewegung erfüllen: den Kampf gegen soziale Ungleichheit wiederbeleben, sich der Aufrüstungspolitik entgegenstellen und dabei Präsenz im öffentlichen Raum, „auf der Straße“, zeigen.
Horst Heimann betrachtet die linke Sammlungsbewegung mit gemischten Gefühlen. Eine Stärkung der Linken in Deutschland hält er angesichts des gesellschaftlichen Rechtstrends und des Aufstiegs der AfD für dringend geboten. Die politischen Schlussfolgerungen, welche die Protagonisten der Sammlungsbewegung aus der Krise der Linken ziehen, und die Konsequenzen, die sich daraus für die inhaltliche Ausrichtung derselben ergeben, gefallen ihm dagegen nicht. Eine Linke, so Heimann, die nationale Ressentiments ausbeutet, ist keine Linke mehr.
Benjamin-Immanuel Hoff interpretiert die linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ im Kontext einer pathologischen Beziehung der gesellschaftlichen Linken zur Sozialdemokratie und plädiert für eine progressive linke Politik, die hinter Begriffen wie Sicherheit und Heimat legitime Ansprüche einer in sich durchaus widersprüchlichen „Klasse an sich“ erkennt und dabei praktische Ansätze der Solidarität und Integration entwickelt.