Die soziale Bewegung als Zielbild Parteireformen und Gesellschaftswandel im Gleichschritt?
Fast alle Parteifamilien haben über die vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich an gemessenem Vertrauen der Bevölkerung eingebüßt, haben sukzessive Mitglieder und Wähler verloren. Als Transmissionsriemen für einen gesellschaftlichen Wandel ist das Format Partei in westlichen Gesellschaften auch deswegen kaum mehr plausibel. Spätestens seit den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre jedenfalls spüren Parteien einen steigenden Druck, Erlebnisse bereitzustellen, die eher mit sozialen Bewegungen verbunden werden, um ihre Attraktivität und Legitimation zu sichern.
Bewegungen gegenüber gelten Parteiorganisationen nicht nur als schwerfällig, bürokratisch und immobil, sondern als machtstrategische, hierarchische Formationen, die mittels Patronage und Bevormundung gesellschaftlichen Wandel geradezu erschweren und jede Initiative in ein Korsett von Ausgleichsmechanismen und Quoten pressen, bis am Schluss kaum ein gesellschaftlicher Wandlungsanspruch mehr übrig ist. Zudem müssen Parteien mit ihrem umfassenden programmatischen Anspruch zwangsläufig inhaltliche Kompromisse moderieren, während in Bewegungen Menschen durch ein engeres übergeordnetes Thema zusammengebracht werden und sich so einem zusammenschweißenden Kollektiv zugehörig fühlen. [...]
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018