Linke Perspektiven in den USA Die Suche nach einem neuen sozialdemokratischen Projekt

Von Thomas Greven

Im Vorfeld der US-Kongresswahlen am 6. November 2018 werden innerhalb der Linken des amerikanischen politischen Spektrums – in einem Teil der Demokratischen Partei und einer unüberschaubaren Zahl von kleineren Parteien und Gruppierungen, von denen derzeit die Democratic Socialists of America (DSA) eine gewisse Prominenz erreicht haben – vor allem zwei Debatten geführt: Erstens verbindet sich die Hoffnung auf eine »blaue Welle«, d. h. Mehrheiten der Demokraten im Repräsentantenhaus und, weniger wahrscheinlich, im Senat, mit der Frage, ob es wichtiger ist, sicherzustellen, dass es für Präsident Donald Trump ein Gegengewicht gibt – pragmatische Politik zugunsten von checks and balances –, oder ob es vielmehr grundsätzlich darauf ankommt, progressive Kandidaten zu unterstützen, auch um den Preis verlorener Sitze. Die erste Runde dieser Auseinandersetzung – die »insurgency« gegen das Demokratische Establishment[1] bei den Vorwahlen – ist gelaufen und hat ein gemischtes Ergebnis gezeitigt. Ob in der Hauptwahl die Sorge des Democratic National Committee (DNC), dass gewinnbare Sitze verloren gehen, weil entweder die aufgestellten Kandidaten zu links sind oder Stimmen an Kandidaten von linken Drittparteien gehen und so den Demokratischen Kandidaten deshalb »fehlen«, wird sich zeigen, vor allem in den von Trump gewonnenen Industriestaaten des Mittleren Westens. Die Chancen der Demokraten stehen grundsätzlich gut, da die Wahl wohl trotz vordergründig guter Wirtschaftslage zu einem Referendum gegen den unbeliebten Trump avancieren wird.

Eine zweite Debatte, mit der ersten eng verbunden, betrifft die Frage, welchen Stellenwert die sogenannte Identitätspolitik gegenüber universalistischen Forderungen haben soll. Die Komplexität dieser Frage wird offensichtlich, wenn man einerseits die innerhalb der Demokratischen Partei ungelöste Debatte über die Ursachen der Niederlage der Präsidentschaftswahl 2016 betrachtet und andererseits den Enthusiasmus angesichts der vielen Vorwahlkandidaten, die nicht der im Kongress überrepräsentierten Gruppe der weißen Männer angehören (z. B. Alexandria Ocasio-Cortez in Queens und die Muslimas Ilhan Omar, Minnesota, und Rashida Tlaib, Michigan).
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[1] Vgl. The New York Times, 6.9.2018.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018