Die notwendige Sozialdemokratie Warum Ralf Dahrendorf irrte und was es heute braucht

Von Thomas Nowotny

Schon in der Vergangenheit wurde der Sozialdemokratie regelmäßig der unabwendbare Niedergang prophezeit. Heute mangelt es nicht an ähnlichen Vorhersagen. Im Gegenteil: Sie werden zahlreicher. Muss man sie diesmal ernster nehmen? Die untenstehende Grafik würde das nahelegen. Sie verweist auf einen jähen Abstieg der europäischen Sozialdemokratie. Im Vergleich zum Jahre 2000 hat sie im Jahre 2015 in Europa etwa dreißig Prozent ihrer Wähler verloren.

Dahrendorfs Irrtum Eine dieser früheren Diagnosen ist die oft zitierte von Ralf Dahrendorf (»Die Chancen der Krise«, 1983). Dahrendorf meinte schon damals, alle großen europäischen Parteien würden längst jene Ziele anstreben und gutheißen, die in ihrer Summe und in ihrem Zusammenhang ursprünglich sozialdemokratische gewesen seien: nämlich die Ziele von Wirtschaftswachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat und Internationalismus.

In diesem Sinne wären auch alle anderen großen Parteien »sozialdemokratisch « geworden. Die Sozialdemokratie hätte nicht länger etwas Spezifisches entgegenzusetzen, durch das sie sich von den konkurrierenden politischen Kräften und Parteien unterscheiden und absetzen könnte. So hätte die Sozialdemokratie bereits zu dieser Zeit (also schon um das Jahr 1983) ihre politischen Möglichkeiten erschöpft und ihren Daseinszweck erfüllt.
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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018