»In einer Phase, in der sich Dinge entgrenzen und öffnen, man mit äußeren Entwicklungen und auch physisch mit Menschen konfrontiert ist, die von außen kommen, gewinnt das Heimelige, Vertraute, Gemeinsame und Ungestörte eine neue Bedeutung.« Wie man mit dieser Erkenntnis umgeht, darüber – und über vieles mehr – spricht Stephan Lessenich im Interview mit der Indes.
»In ihrer ursprünglichen, in der Romantik entstandenen und bis heute prägenden Variante verkörpert 𠌊Heimat‹ eine modernisierungskritische Sehnsucht nach identitätsstiftenden Bezugspunkten, die keiner Veränderung zu unterliegen scheinen«, so schreibt Habbo Knoch in seinem Beitrag. Als politisches Konzept repräsentiere Heimat eine antipluralistische und antiemanzipatorische Ordnung, in der deutungsstarke Akteure anderen vorschreiben wollten, wie sie zu leben hätten – wobei die Wirkungsmacht des politischen Heimat-Konzeptes daraus resultiere, dass es nicht lediglich auf der Gefühlsebene verankert sei, sondern außerdem in Gestalt u.a. von Heimatvereinen in einer breiten, von Staat und Gesellschaft organisierten kulturellen Infrastruktur gründe. Gleichwohl unterliege das Heimatverständnis seit den 1960er Jahren andererseits grundlegenden Wandlungen, weshalb Heimat heute zunehmend als ökonomisierte Erlebnisressource und temporäre Gegenwelt fungiere, die ihre anti-modernistischen und völkischen Zuschreibungen weitgehend verloren habe.
Frank Uekötter stellt in seinem Beitrag einem romantisierten Bild vom deutschen Wald die komplexe Geschichte seiner Nutzung und Bedrohung entgegen. Der Blick etwa auf die Erfindung des Waldes im Kontext seiner Abgrenzung von landwirtschaftlicher Nutzfläche und die vielschichtigen ökologischen Auswirkungen einer profitorientierten Forstwirtschaft fordern verbreitete, medial reproduzierte Vorstellungen vom identitätsstiftenden Wald und seinem gefürchteten Sterben heraus.
Arthur Schlegemilch beleuchtet in seinem Beitrag die Entwicklung der verschiedenen Heimatkonzepte in der DDR. Insbesondere widmet er sich dem (Spannungs-)Verhältnis von »großer« und »kleiner« Heimat und zeigt, wie sich die Industriepolitik der DDR auf die lokale »kleine Heimat« niederschlug. Am Beispiel der Industriestadt Hoyerswerda verweist er zudem darauf, wie bürgerschaftliches Engagement – getragen von einem Heimatgefühl – entstehen und kultiviert werden konnte.
Fritz Reusswig und Claus Leggewie argumentieren, wie die AfD – indem sie den Heimatbegriff maßgeblich für ihre Zwecke beansprucht hat – eigentliche Gefahren für die eigene Heimat verfehlt. Mit der Leugnung des Klimawandels und den entsprechenden politischen Schlüssen wird die Partei, die sich als Heimatschutzpartei inszeniert, gar selbst zur Gefahr für jene Heimat, die sie angeblich zu schützen sucht.
Liane Bednarz widmet sich in ihrem Beitrag regionalen Differenzierungen des Heimatverständnisses. Dabei zeigt sie die (großen) Unterschiede namentlich zwischen Stadt und Land auf; wobei der Heimatbegriff – und dies vor allem medial – zumeist primär mit dem ländlichen Raum assoziiert werde und zudem eine Idealisierung des ländlichen Raumes begünstige. Dass der Instrumentalisierung von Heimat und Dorf durch Rechtsradikale dennoch nicht hilflos gegenübergestanden werden müsse und erst recht Heimatbewusstsein und eine rechts-nationale politische Gesinnung nicht identisch seien, zeige etwa die Integration von Geflüchteten, die auf dem Land oftmals besser gelinge als in der Stadt.
Der Beitrag skizziert die Veränderungen, die das Genre des Heimatfilms seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfahren hat. Heimat, so die Kernthese, werde im Kino immer dann zu einem wichtigen Thema, wenn sie bedroht oder bereits verloren sei. In einem Zeitalter der Globalisierung geben beschleunigte Modernisierungsprozesse und die zunehmende Angleichung der Kulturen und Lebensstile dem Heimatfilm zusätzlichen Auftrieb, da diese Prozesse die Sehnsucht nach lokalen Eigenarten und Traditionen wecken. Am Ende des Beitrags wird eine Typologie der Erzählweisen im gegenwärtigen Heimatfilm entworfen, die auf konzeptuelle Gegensätze wie Tradition vs. Moderne oder Gemeinschaft vs. Gesellschaft fokussiert.
Warum gerade die Linke Nationalstaat und Heimat nicht den Rechtspopulisten überlassen darf und soll: Dieser Frage widmet sich Michael Bröning in einem Essay, der linke Vorbehalte gegen die Begriffe »Heimat« und »Nation« positiv zu wenden versucht.
Der Beitrag zeigt, dass die westlichen Parteiensysteme in zunehmendem Maße von einem neuen Cleavage strukturiert werden: von der Konfliktlinie »Transnationalismus vs. Anti-Transnationalismus«. Während von den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien Bündnis 90/Die Grünen besonders eindeutig den transnationalistischen Pol repräsentieren, steht die Alternative für Deutschland besonders nahe am anti-transnationalistischen Pol. An die Neo-Cleavage-Theorie von Gary Marks und Liesbet Hooghe anknüpfend, demonstriert Gregor Kreuzer, dass sich die Profile der Wählerschaften beider Parteien dementsprechend in soziodemografischer Hinsicht unähnlicher kaum sein könnten. Der Streit zwischen Transnationalisten und Anti-Transnationalisten scheint also einer der prägenden Konflikte unserer Zeit zu sein, der die Parteiensysteme des Westens nachhaltig verändert.
Ulrike Guérot rekapituliert in ihrem Essay die gegenwärtige Renaissance von Heimatdiskursen und Heimatbegriffen in Medien, Politik und Gesellschaft. Sie argumentiert, dass die gegenwärtige Heimatsehnsucht als Chiffre für eine Renationalisierung zu verstehen sei und insbesondere durch die Zerstörung sozialer und ökonomischer Schutzräume an Brisanz gewonnen habe. Gegen diese Renationalisierungstendenzen setzt Guérot die Idee eines politischen Europa, das abseits reiner Markt- und Währungsfragen die brennenden Fragen nach Klimawandel, Steuergerechtigkeit und Fluchtbewegungen auf die Agenda setzt.
Elmar Wiesendahl unterzieht in seinem Text das Volksparteien-Konzept Otto Kirchheimers einer kritischen Revision. Dabei vertritt er die These, dass Volksparteien in ihrer Blütezeit keineswegs wurzellose und profilarme Catch-all parties gewesen seien. Vielmehr hätten sie erst in jüngerer Zeit ihr von Kirchheimer vorhergesagtes Eigenschaftsprofil ausgebildet – und damit ihren aktuellen Niedergang beschleunigt. Seine Analyse schließt Wiesendahl mit der Aufforderung an die Parteienforschung, sich der Frage anzunehmen, ob und inwieweit ein neues Parteienzeitalter mit einem neuen dominanten und d.h. post-volksparteilichen Parteientypus angebrochen sei.
Der Beitrag zeigt, dass die von der völkisch-populistischen Rechten vorgenommene »Ethnisierung des Sozialen« in zunehmendem Maße Anklang auch unter gewerkschaftlich Aktiven und Betriebsräten findet. Unter Lohnabhängigen besteht generell eine spontane Tendenz zu »exklusiver Solidarität«, die eine Abgrenzung nicht nur gegen »oben«, sondern vor allem gegen das Fremde, die Anderen, anzeigt. Rechtspopulistische Parteien wie die AfD, die im Vergleich zu den anderen im Bundestag vertretenen Parteien den höchsten Anteil an Arbeitern in ihrer Wählerschaft aufweist, können sich diese Tendenz zunutze machen. Den Gewerkschaften kommt daher eine Schlüsselrolle in der Auseinandersetzung mit dem rechten Sozialpopulismus zu.