Die DDR als Heimat Geschichte einer Desillusionierung

Von Arthur Schlegelmilch

Ein Blick auf die deutsche Geschichte macht deutlich, dass es einen eindeutigen und stabilen Heimatbegriff niemals gegeben hat. So folgten der »Seelenheimat« der Romantik deren nationalpolitische Aufladung durch den Liberalismus bzw. die – vor allem gegen die politische Arbeiterbewegung gerichtete – Machtstaatspropaganda von »Heimat und Vaterland« zu Kaisers Zeiten. Einen dramatischen Einschnitt und Wendepunkt stellte wiederum die Gleichsetzung von Heimat und rassisch-biologischer Volksgemeinschaft durch das NS-Regime dar, dem wiederum die eskapistische »Heimattümelei« der Adenauerzeit als nur scheinbar unpolitisches Gegenmodell auf dem Fuß folgte. Demgegenüber propagierte die DDR ein Heimatkonzept, das nicht nur eine moralisch überlegene Form des Zusammenlebens vorsah, sondern auch das Ideal einer vollständig intakten Kulturlandschaft verkörperte. »Erst der Sozialismus in der DDR bringt ein neues, schöpferisches und wahrhaft menschliches Heimatbewusstsein hervor«, formulierte im Jahr 1962 Karl Czok, einer der Vordenker und Begründer der sogenannten marxistischen Regionalgeschichte.[1]

Heimatkonzepte

Dem Wirken Czoks und einiger führender Kulturbundfunktionäre wie Karl Kneschke oder Erik Hühns war es zu verdanken, dass der sozialistische Heimatbegriff im Laufe der 1960er Jahre geschärft und auf eine breitere gesellschaftliche Basis gestellt werden konnte. Hatte man sich anfangs noch ganz auf die Förderung einer proletarischen Volks- und Heimatkultur im Zeichen des »Aufbaus des Sozialismus« konzentriert und die Aktivitäten der traditionellen Natur- und Heimatfreunde allenfalls als Übergangsphänomen angesehen, kam mit der sich nun durchsetzenden Unterscheidung zwischen »kleiner« (»engerer«) und »großer« (»weiterer«) Heimat eine Kompromissformel zur Anwendung, die den Handlungsspielraum der Akteure auf lokaler und regionaler Ebene spürbar vergrößerte und das angestrebte Zusammenwachsen von alter und neuer Heimatliebe auf einen – nicht näher bestimmbaren – späteren Zeitpunkt verlagerte.[2] […]

Anmerkungen

[1] Zit. nach Tilo Prase u. Judith Kretzschmar, Propagandist und Heimatfilmer. Die Dokumentarfilme des Karl-Eduard von Schnitzler, Leipzig 2003, S. 98.

[2] Vgl. Jan Palmowski, Die Erfindung der sozialistischen Nation. Heimat und Politik im DDR-Alltag, Berlin 2016, S. 79 f.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018