Der Wald im Zeitalter seiner medialen Reproduzierbarkeit Wenn man vor lauter Wäldern den Baum nicht mehr erkennt
Wäre dieser Aufsatz ein Film, dann würde er vermutlich mit Joseph von Eichendorff beginnen. Dessen Gedicht »Der Jäger Abschied« schmückt jeden audiovisuellen Beitrag über den Deutschen und seinen Wald. Schon der Anfang macht Stimmung: »Wer hat Dich, du schöner Wald, Aufgebaut so hoch da droben?« Mit der Melodie von Felix Mendelssohn Bartholdy und einem ordentlichen Männerchor erhält das Gedicht eine ganz eigene Prägnanz. Das spart dem gemeinen Medienmenschen eine Menge Erklärungen. Wer will da noch bezweifeln, dass die Deutschen ihren Wald ganz besonders lieben? Außerdem kann man so als Regisseur noch ein wenig Männlichkeit heraushängen lassen, ohne dass gleich ein Termin bei der Gender-Beauftragten droht. Männerchöre sind eines der letzten maskulinen Refugien, für die noch niemand eine Quote gefordert hat.
Das Gruseln gehört dabei fest zum Programm. Spätestens wenn Eichendorff von Gelöbnissen im finsteren Wald redet und vom »Deutsch Panier, das rauschend wallt«, kommt ausreichend Stoff für ein zünftiges Germanistik-Seminar zusammen. Schnell ist dann jener Punkt erreicht, an den eigentlich jede Heimat-Debatte früher oder später gelangt. Schwingt da nicht etwas mit, was da nicht mitschwingen sollte? Wird da nicht ein unschuldiges Stück Natur nationalisiert, maskulinisiert, martialisiert, zum Schaden eines relevanten Teils der menschlichen Gemeinschaft? Die Antwort steht von vornherein fest: Natürlich ist der deutsche Wald nationalisiert. Das sagt ja schon der Name. […]
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018