»Heimat« Konjunkturen eines politischen Konzepts

Von Habbo Knoch

Vom rechten Rand bis zu den Grünen und auch bei manchen Linken erlebt »Heimat« neuerdings eine unerwartete politische Konjunktur. Der Begriff wird angesichts der Krisendiskurse über »Flüchtlinge«, »Globalisierung« und »soziale Spaltung« als Ressource für Vergemeinschaftung und Zusammenhalt in Stellung gebracht. Er fungiert als Gefühlssynonym für Vertrauen«, »Sicherheit« und »Tradition«. Wer politisch so von »Heimat« spricht, blickt tatsächlich oder metaphorisch zurück und assoziiert mit ihr etwas, das sich vermeintlich nicht ändert: Kindheitserlebnisse und Landschaftsbilder, Gemeinschaftsvisionen und »bessere Zeiten«, nicht selten auch die rassistische Idee einer primordialen Abstammung und eine darin begründete exklusive »Leitkultur«. Je unsicherer und unwirtlicher die Zukunft erscheint und gezeichnet wird, desto größer scheint nicht nur das so geäußerte Bedürfnis nach Unvergänglichem, sondern auch der politische Diskurs darüber zu werden: »Retrotopia«[1] hat Zygmunt Bauman diese gegenwärtig verbreitete Sehnsucht nach Nostalgie genannt.

Dabei hat sich der Begriff »Heimat« in den vergangenen Jahrzehnten von seiner ursprünglich konservativ-nationalistischen Umklammerung gelöst und ist pluralistischer geworden. »Heimat« tritt heute vor allem als Konsumgegenstand in Erscheinung: im Allgäu oder Wattenmeer, als Rezeptbuch oder Lebensratgeber, als Standortwerbung oder Fernsehkulisse im »Tatort«. Vor der aktuellen politischen Renaissance schien der Begriff seine appellative Bedeutung längst verloren zu haben, die er vor allem vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre mit unterschiedlichen Konjunkturen und Bedeutungen besaß.[2] Nun aber zeigt sich, wie tief »Heimat« als antimoderne und modernisierungsskeptische Denkfigur weiterhin in der politischen und gesellschaftlichen Kultur der Bundesrepublik verankert ist und nicht zuletzt in einer Vielzahl von Institutionen […]

Anmerkungen

[1] Zygmunt Bauman, Retrotopia, Frankfurt a.M. 2017.
[2] Vgl. grundlegend und mit weiterer Literatur: Jens Jäger, Heimat, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 09.11.2017, URL: http://docupedia.de/zg/Jaeger_heimat_v1_de_2017 [eingesehen am 08.01.2019].

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018