Der Heimatfilm Themen, soziale Anliegen und filmische Formen
Millionen deutscher und österreichischer Zuschauer ließen sich in den 1950er Jahren von Filmen wie »Schwarzwaldmädel« (1950) oder »Grün ist die Heide« (1951) verzücken. Die Heimatfilme der Adenauerzeit waren, das ist Konsens, ein Vehikel der Verdrängung. Sie boten eine Traumwelt, in der zerstörte Städte, Kriegsschuld und Massenmord an der jüdischen Bevölkerung nicht vorkamen. Die blühenden Landschaften des Schwarzwalds, der Heide oder der bayerischen Alpen, in denen sie angesiedelt waren, ähnelten alle Elysion: In ihnen gab es keine Geschichte, keine Politik, keine Industrie, keine sozialen Probleme und, wie in der idealisierten Kindheit, auch keine Sexualität, dafür Trachten und Traditionen, Blasmusik und intakte Dorfgemeinschaften. Die Tradition, die hier beschworen wurde, war nicht nur wegen des ausgeblendeten Faschismus (der sich dieser Tradition zu seinen Zwecken bemächtigt hatte) reiner Schwindel: So war dem König der Heimatfilmregisseure, Hans Deppe, der Schwarzwald nicht folkloristisch genug und er ließ mehrere Lastwagenladungen mit geschnitzter und gemalter Volkskunst, Bauernmöbeln, Hirschgeweihen, Holzkreuzen und Heiligenfiguren kommen, um das Setting »authentisch« zu gestalten. Das urige Wirtshaus, in welchem ein großer Teil der Handlung von »Schwarzwaldmädel« spielt, ist eine Montage aus verschiedenen Häusern der Region, wie überhaupt die Postkartenidyllen aller Heimatfilme dieser Dekade aus Aufnahmen verschiedener Orte am Schneidetisch zusammengesetzt wurden.[1]
Die Heimatfilme der Nachkriegszeit erfanden eine Tradition, die eine Kontinuität mit einer angenehmen Vergangenheit suggerierte, den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus und den Holocaust ausblendete und der Erfahrung des verlorenen Krieges, des geteilten Deutschland und des Millionenheeres von Heimatvertriebenen eine heile soziale Welt innerhalb eines unveränderlichen Wertesystems entgegenhielt. Nicht vergessen werden darf dabei, dass fast ein Fünftel der damaligen deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund hatte. […]
Anmerkungen
[1] Siehe Ingeborg Majer O’Sickey, Framing the Unheimlich. Heimatfilm and Bambi, in: Patricia Herminghouse u. Magda Mueller (Hg.), Gender and Germanness, Providence 1997, S. 202–216, hier S. 206.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018