Mehr Nation wagen Warum gerade die Linke Nationalstaat und Heimat nicht den Rechtspopulisten überlassen darf

Von Michael Bröning

In aufgeklärten Kreisen gilt seit Langem als ausgemacht, dass der Nationalstaat in etwa so zukunftsfähig sei wie eine kohlebetriebene Dampfmaschine. Konzepte wie »Nation«, »Heimat« oder gar – horribile dictu – »Volk« gelten als rückwärtsgewandt, wenn nicht gar als Beleg für »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« an der Grenze zur Volksverhetzung. Einen der wortgewaltigsten und wohl auch persönlichsten Angriffe gegen das vermeintliche Gift der Nation ritt dabei Peter Glotz, in den 1980er Jahren Bundesgeschäftsführer der SPD und lange Jahre intellektueller Vordenker seiner Partei. Glotz kritisierte den »Irrweg des Nationalstaats« als »moralischen Wahnsinn«.[1] Sein J’accuse gipfelte in der Mahnung, ein Festhalten an der Nation sei eine intellektuelle Vorstufe zum Massenmord, denn: »Wer eine Renaissance des Nationalstaats fördert oder auch nur duldet, wird Mitschuld tragen an Hunderttausenden von Toten.«[2] Inhaltlich ist diese Position heute Talkshow-Common Sense. Dort gilt als erwiesen: In Anbetracht globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, oder Digitalisierung stellen die Nationalstaaten bestenfalls überkommene Dinosaurier dar, welche die Herausforderungen der Gegenwart nicht beantworten können.

In progressiven Visionen treten deshalb supranationale und regionale Zusammenschlüsse an die Stelle von Staaten. Im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9. November 1918 erfuhr jüngst die Initiative des »European Balcony Project« von Ulrike Guérot und Robert Menasse umfassende mediale Aufmerksamkeit. Ziel war die Ausrufung einer »Europäischen Republik« als »Ansatz- und Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Weltregierung und ihrer Parlamentarisierun «.[3] Diese sei umzusetzen durch den »Wegfall der nationalstaatlichen Ebene und die Übertragung der Souveränität von den Nationalstaaten auf die Bürgerinnen und Bürger«[4]. Ein Großteil des deutschen Feuilletons war begeistert. […]

Anmerkungen

[1] Peter Glotz, Der Irrweg des Nationalstaats. Europäische Reden an ein deutsches Publikum, Stuttgart 1990.

[2] Ebd., S. 125.

[3] Jürgen Klute, Die Ausrufung einer Europäischen Republik: The European Balcony Project, in: Europa.blog, 30.04.2018, URL: https://europa.blog/fur-ein-besseres-europa-fur-eine-europaische-republik/ [eingesehen am 02.01.2019].

[4] Ebd.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018