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Editorial

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Ralf Klausnitzer

Nichts ist, wie es scheint Die Erfindung des modernen Konspirationismus in der Aufklärung

Anhand der Romanerfolge Dan Browns begibt sich Ralf Klausnitzer auf eine literarische Spurensuche, die bis in die Zeit der europäischen Aufklärung zurückreicht – jenem Zeitalter nicht nur des Selbstdenkens und der reinen Vernunft, so Klausnitzer, sondern auch der Suche nach unsichtbaren Mächten und arkanem, verborgenem Wissen. Dabei begegnet Klausnitzer u.a. Goethe, den Illuminaten, der Freimaurerei und entwickelt so eine Geschichte vom take off des modernen Konspirationismus um 1755, die in reichen Anleihen bis heute fortwirkt.

Sabine Doering-Manteuffel

Der Teufel ist ein Logiker Verschwörung, Verwandlung und die Macht des Bösen im Zeitalter der Aufklärung

Der Teufel, schreibt Sabine Doering-Manteuffel, beherrsche die Kunst der Verwandlung – weshalb das Böse in Allerweltsgestalt und also in jedermanns Gewand erscheinen könne, sodass Verschwörungen potenziell überall lauerten. Welche Taten dem Herrscher der Unterwelt zugeschrieben worden waren, bevor im Zuge der Aufklärung allmählich der Glaube an ihn schwand; welche Gestalten die Chronisten ihn annehmen sahen; warum er im Vergleich zum strafenden Gott dennoch immer »nur ein kleines, obskures und trübes Licht« abgab, bis er schließlich in der Moderne vollends zum »Pantoffelhelden« mutierte: All das erfährt man in diesem Beitrag.

Karl Hepfer

Das Pegasus-Paradox Die Ontologie von Verschwörungstheorien

Woher wissen wir, ob ein Phänomen wirklich ist? Und woher wissen wir, was im Kontext einer Verschwörung überhaupt real sein kann und was nicht? Karl Hepfer ermöglicht eine denkbare philosophische Perspektive auf das Themenfeld der Verschwörungstheorien. Mittels Existenzbehauptungen und subjektiven Wissensansprüchen nähert er sich dem grundlegenden Paradox, welches jeder Verschwörung innewohnt.

Andreas Anton  /  Michael Schetsche

Konspirative Wirklichkeiten Zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien

Erst seit den 1990er Jahren sind Verschwörungstheorien verstärkt zum Gegenstand geistes- und sozialwissenschaftlicher Untersuchungen geworden – allerdings oftmals in einer »Tradition« der Auseinandersetzung, in der »Verschwörungsglaube« als diskreditierender Kampfbegriff gebraucht wird. In offenen Gesellschaften wird es allerdings stets Kämpfe zwischen dominierenden und abweichenden Wirklichkeitsbestimmungen und Weltbildern um Deutungshoheit geben. Gerade diese Kämpfe sind es, die einen erheblichen Teil der dynamischen Entwicklung des Wissens innerhalb von Gesellschaften ausmachen. Andreas Anton und Michael Schetsche beschäftigen sich in ihrem Artikel von wissenssoziologischer Warte aus mit den unterschiedlichen Wissensbeständen unserer Gesellschaften.

Matthias Pöhlmann

Im Klima der gefühlten Desinformation Verschwörungsglaube in der weltanschaulich-religiösen Gegenwartskultur

Heutige Verschwörungstheorien sind Ausdruck und Symptom tiefgreifender Umbruchs- und Krisenzeiten. In ihnen artikulieren sich Verunsicherung, Angst und Enttäuschung. Sie basieren auf dem Gefühl, dass bestimmte Nachrichten und Meldungen im Interesse der Regierung oder bestimmter Interessengruppen unterdrückt werden. Wobei sich dieses Empfinden paradoxerweise vor dem Hintergrund präzedenzlos vielfältiger Medien- und Informationsangebote über das Fernsehen, das Internet und die Sozialen Medien einstellt. In Anbetracht der Konjunktur des Verschwörungsdenkens kartografiert Matthias Pöhlmann das Feld säkularer und religiöser Verschwörungsmythen, weist auf vielfach vorhandene, wenn auch nicht immer gleich ersichtliche »braune Flecken« hin und zeigt, dass die beiden Gruppen von Verschwörungserzählungen jenseits aller Differenzen bei den konkreten Inhalten grundsätzlich ähnliche soziale Funktionen erfüllen.

Holger Onken

Nationale Erzählungen und Parteienwettbewerb in Deutschland Von Profillosigkeit, Heimatverlust und Verschwörungsvorwürfen

Der Sozialwissenschaftler Holger Onken zeichnet Folgen und Gefahren des bröckelnden Konsenses in der Parteienlandschaft und des Glaubwürdigkeitsverlustes der gesellschaftlichen Deutungselite in Deutschland nach. Dabei befasst er sich mit den Veränderungen und der Entwicklung der deutschen Parteienlandschaft, die mit einer Profillosigkeit der Parteien einhergehen, und dem steigenden Unmut innerhalb der Bevölkerung.

Julia Walter

Polen Vaterland der Verschwörungsapostel?

Aufgrund der polnischen Geschichte, in der es mehrfach zu Okkupationen des Landes durch fremde Machthaber kam, habe sich in der polnischen Bevölkerung eine Affinität zur politischen Paranoia entwickelt. Julia Walter erläutert, wie dieser historisch häufige Widerstand gegen Teilungen und Terror zu einer Normalität des Verschwörungsglaubens geführt habe - nicht zuletzt weil der Staat selbst dessen Verbreitung und Glaubwürdigkeit förderte. Neu sei indes, Verschwörungen gegen die polnische Bevölkerung nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland zu vermuten.

Ute Caumanns

Der Feind im Innern Stalinistische Schauprozesse und Verschwörungsdenken im Kalten Krieg

In kaum einem Bereich hat Verschwörungsdenken eine so spezifische öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, eine derart gewollte didaktische Funktion besessen und war derart orchestriert wie in den kommunistischen Schauprozessen in der Hoch- und Spätphase des Stalinismus, so Ute Caumanns in ihrer Analyse kommunistischer Schauprozesse in Osteuropa. Dabei zeigt sie nicht nur, dass das öffentliche Verschwörungsdenken nicht allein mit der Person Stalins verbunden werden kann, sondern beschreibt eindringlich, wie Verschwörungsdenken als ideologisches Machtmittel und Bindeglied in einem performativen Akt der Aufdeckung, der Entlarvung vor den Augen der geladenen Beobachter instrumentalisiert worden ist und dabei bisweilen gar die Regisseure des Schauspiels zu überzeugen vermocht hat.

Franz Walter

»Parteifeinde« und »Agenten des Imperialismus« Aus den Jahren der Zerschlagung aller sozialdemokratischen Traditionen im ostsächsischen Freital, das heute eine Hochburg von Pegida ist

Was im ostsächsischem Ort Freital über die Jahrzehnte geschehen ist, wirft große Fragen auf: Wie konnte die einstig unumstrittene und zuverlässige Hochburg der Sozialdemokraten – die Kommune der Arbeiterbewegung schlechthin – zum bundesweit bekannten Ort militanter rechtsextremer Krawalle werden? Was hat Freital, Heimat von Pegida-Gründer Lutz Bachmann, zu einem solchen Benehmen bewogen? Franz Walter analysiert bedeutende Persönlichkeiten und das Fluidum historischer Ereignisse, welche die aktuelle Stimmungslage Freitals zu erklären vermögen.

Wolfgang Krieger

Der Staat soll alles können, aber nichts dürfen Das Dilemma der Geheimdienste in Zeiten des Cyberwar

Die Bevölkerungen westlicher Staaten wünschen größtmögliche Sicherheit vor Terrorangriffen – gleichzeitig betrachten sie jedoch, um ihre bürgerlichen Freiheiten fürchtend, staatliche Eingriffe in die elektronische Kommunikation mit großer Sorge. Diesem Dilemma im Zeitalter des Cyberwar widmet sich der Historiker Wolfgang Krieger besonders in Bezug auf die USA, Großbritannien und Deutschland.

Perspektiven

Frank Uekötter

Paradoxien der Klimadiplomatie Welten und Weltbilder im Wandel

Die Klimakonferenz, die im Dezember 2015 in Paris stattfand, war die 21. jährliche Konferenz der Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention von 1992. Längst ist kaum mehr möglich, die wahre Komplexität der Verhandlungen zu durchdringen; und man kann eigentlich niemandem verdenken, beim Thema Klimadiplomatie innerlich abzuschalten. Dabei hat das Ganze einst ziemlich schwungvoll begonnen. Der Klimadiskurs ist unterdessen zu einer paradoxen Mixtur aus Planungseuphorie und Politikverachtung geworden und kreist nicht selten allein um die eigenen Perspektiven, ohne sich um politische Umsetzungslogiken zu kümmern. Frank Uekötter unterzieht die bisherige Geschichte internationaler Klimadiplomatie einer kritischen Betrachtung.

Peter Strohschneider

»Forschungsförderung muss Erwartungsdurchbrechungen erwartbar machen« Ein Gespräch über Freiheitsräume und Innovationsdynamiken in der Wissenschaft

Moderne Forschung sei der Gefahr eines Legitimationsproblems ausgesetzt, da sie die Erwartungshaltung an ihre Leistungen nicht erfüllen könne. Wissenschaft erfordere heutzutage ein hohes Maß an Organisation, müsse aber zugleich genügend Freiräume lassen – zudem müsse man durchaus das Problem reflektieren, dass Wissenschaftler als Wissenschaftsorganisatoren einer zweifachen Arbeitsbelastung unterlägen. Drittmittel seien dann produktiv, wenn sie die Grundfinanzierung der Universitäten ergänzten, nicht jedoch mittrügen. Auch gehe von universitärer Wissenschaft eine Sogwirkung aus, in deren Folge immer mehr Institutionen nach universitärer Dinstinktion strebten, die dadurch allerdings schwächer werde. Das deutsche Wissenschaftssystem balanciere die Spannung zwischen Karrieresicherheit und Möglichkeit des Scheiterns nicht so gut aus wie etwa das der USA, in welchem es viel mehr Auffangmöglichkeiten gebe.

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