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Editorial

Schwerpunkt

Open-Access

Teresa Nentwig

Von Klößen, einem Elefantengesicht und Pornografie Die unglaubliche Welt des Dieudonné

Der französische Komödiant Dieudonné provoziert sein Publikum und die Öffentlichkeit mit antisemitischen Gesten und Sprüchen. Besonders die von ihm konzipierte „Quenelle“ sorgte für einen Skandal. Trotz seiner kontroversen Tabubrüche hat Dieudonné zahllose Fans aus allen Teilen der Gesellschaft und füllt bei seinen Auftritten verlässlich die Veranstaltungshallen. Teresa Nentwig ergründet, weshalb sich sowohl Linke wie Rechte als Dieudonné-Fans bekennen.

Franz Walter

Tabubruch und liberale Selbstzerstörung Die FDP und der Fluch des Tabubruchs

Franz Walter spürt den Ambivalenzen des kalkulierten Tabubruchs in der FDP nach. Zunächst zeigt Walter am Beispiel Jürgen W. Möllemanns, wie dieser den in der rechten Mitte einiger Nachbarländer elektoral erfolgreichen Neupopulismus als Instrument zur Erreichung einer liberalen Sammlungsbewegung nutzen sollte. An Guido Westerwelle zeigt Walter sodann, wie das Projekt nach anfänglichen Erfolgen fulminant scheiterte und einer Neuausrichtung der FDP im Weg stand und steht.

Ivo Ritzer

Medienkultur, Transgression, Affekt Zu Tabubrüchen in Fernsehserien

US-amerikanische Qualitätsfernsehserien wie „The Sopranos“, „The Wire“, „Boardwalk Empire“ oder „Breaking Bad“ haben einen neuen Gütestandard cineastischer Unterhaltung geschaffen. Ihre langsameren, „serialen“ Narrationen seien dem klassischen Plot des Kinofilms überlegen. Paradoxerweise wurde mit den neuen Erzählformen durch eine explizite Darstellung körperlicher und seelischer Gewalt nicht nur an herkömmlichen Erzählkonventionen, sondern auch manifesten Tabus in Fernsehserien, etwa dem unbefleckten Helden, gerüttelt. Oder nicht? Ivo Ritzer stellt in seinem Beitrag die Frage, ob die neuen Fernsehserien tatsächlich Tabus brechen oder sie vielmehr Abziehbilder alltäglicher Machtbeziehungen darstellen.

Florian Werner

SCHEISSE Über stille Orte, schmutzige Wörter und die Tabuisierung des Analen

Kaum ein Bereich des Alltags ist so selbstverständlich von der Öffentlichkeit getrennt – und damit tabu – wie der Toilettengang. Das war nicht immer so. Die „Scheiße“ gehörte bis zum Beginn der Frühen Neuzeit weitaus selbstverständlicher zum öffentlichen Leben, als wir uns das heute vorstellen mögen. Wer würde schon auf die Idee kommen, dass Ludwig der XIV. „auf dem Kackstuhl“ Hof hielt? Kaum weniger verrückt klingt, dass man versuchte, im London des 17. Jahrhunderts die grassierende Pest mit Fäkaliendämpfen zu bekämpfen. Und doch war es so. Wo und auf welcher Grundlage sich der Wandel zur Neuzeit abspielte, erläutert Florian Werner nicht zuletzt an einer gegenwärtigen „Renaissance des Fäkalen“.

Antje Dresen

Doping, Burnout und Depression Tabus im Spitzensport

Um einen Einblick in die Wertsysteme der Gesellschaft zu erlangen, bietet sich der Blick auf das Brennglas des Spitzensports an. Leistungsoptimierung unter formal gleichen und fairen Bedingungen ist Mantra des Sports. Kein Wunder, dass Bereiche und Entwicklungen, die ebenso selbstverständlich zum Spitzensport gehören und nicht mit diesen Anforderungen vereinbar sind, als Tabus behandelt werden. Mit Doping, Burnouts und Depressionen jedenfalls werde, so Antje Dresen, umgegangen, als wenn sie nicht zur Dramaturgie des Sports gehörten. Wie Sport, Medien, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft dafür sorgen, was im Bereich des Sports als „wahr“ gilt und was nicht, ist Gegenstand dieses Aufsatzes.

Ute Frietsch

Wer das Sagen hat Geschlecht als Tabu

Sind Geschlecht und Sexualität in unserer heutigen westlichen Welt überhaupt (noch) tabuisiert? Natürlich sind sie das, meint Ute Frietsch, wenn man nur genau hinschaut. Zum Beispiel im deutschen Unterhaltungsbetrieb: Gerade dieser profitiere vom Reiz des in heterosozialen Öffentlichkeiten inszenierten Tabus. In ihrem Beitrag zeigt die Philosophin und Kulturtheoretikerin u.a. am Beispiel von „Deutschland sucht den Superstar“, welche gesellschaftlichen Funktionen die Tabuisierung oder Enttabuisierung von Geschlechterverhältnissen einnehmen.

Karin Priester

Europäische Kulturkämpfe Die protestantische Ethik, der Populismus und die Macht des Vorurteils

Auf welchen Wegen und in welchen Variationen im Zeichen der Krise in Europa nationale Vorurteile wieder an Konjunktur gewinnen, zeigt Karin Priester in ihrem Beitrag über „Europäische Kulturkämpfe“ und liest dabei die ins Feld geführten Narrative und Rhetoriken als eine Aktualisierung des Gegensatzes von protestantischer Arbeitsethik einerseits und katholischem Savoir-vivre andererseits.

Tobias Neef

Das „stärkste Tabu“ Zum Tabu der Pädosexualität und seiner Infragestellung

Tobias Neef zeichnet den Diskurs über das Tabu der Pädosexualität nach. Er fragt, wann dieses tabuisierte Terrain – einst als das „stärkste Tabu“ charakterisiert – erstmals infrage gestellt wurde, analysiert, welche Rolle die Grünen in ihren Anfangsjahren bei diesem Tabubruch spielten, und vergleicht den Umgang mit dem Tabu des pädosexuellen Begehrens in den 1970er Jahren mit aktuellen Geschehnissen.

Karl Felix Oppermann

Plädoyer für die Schutzlosen Ein juristischer Kommentar zu den Grenzen von Transparenz

Die Steueraffären um Alice Schwarzer und Uli Hoeneß standen ebenso im Blickpunkt einer empörten und nach Transparenz verlangenden Gesellschaft wie der Spionageskandal um den US-Geheimdienst NSA. Dabei scheint, so Karl Felix Oppermann in seinem Kommentar, aber eine grundsätzliche Trennung vergessen worden zu sein: Denn im Unterschied zur Staatsaffäre um die US-Spionage hätten Privatpersonen ein Anrecht auf Schutz vor der Öffentlichkeit. Jedoch gebe es Anzeichen, dass sich die Rechtswissenschaft dem öffentlichen Diskurs anpasst. Zeit also, um das vermeintliche Dogma der Transparenz zu hinterfragen.

Perspektiven

Franz Walter

Schweigen der Honoratioren Der Chirurg Rudolf Stich, der Nationalsozialismus, das Göttinger Bürgertum und die Wissenschaft

Franz Walter befasst sich in seinem Text am Beispiel des Göttinger Ehrenbürgers und ehemaligen Dekans der Medizinischen Fakultät, Rudolf Stich, mit der Elitenkontinuität nach dem Nationalsozialismus. Wie konnte es kommen, dass Personen wie eben Stich im Bildungsbürgertum der prosperierenden Bundesrepublik hochgeachtet waren, obwohl sie sich in Denkweisen und Aussagen nicht nennenswert gewandelt hatten? War gerade der Bereich der Medizin anfällig für solche personellen Überhänge? Und besteht die Lösung des Problems in einer Umbenennung von Gebäuden, Straßen und Plätzen?

Susanne Eschenburg

Theodor Eschenburg und die deutsche Vergangenheit Die halben Zitate der Toten

Susanne Eschenburg nimmt in ihrem Beitrag Stellung zu den an ihren Vater Theodor Eschenburg gerichteten Vorwürfen, während des „Dritten Reiches “ entscheidend an Enteignungen jüdischer Unternehmen beteiligt gewesen zu sein. Vor allem kritisiert sie die Verwendung intellektueller Kronzeugen wie Hannah Arendt, Ralf Dahrendorf und Gottfried Benn gegen ihren Vater und wirft einen Blick auf die herangezogenen Versatzstücke, welche verdeutlichen sollen, dass gerade diese drei Eschenburg verurteilt hätten, wenn sie um sein Verhalten gewusst hätten. Susanne Eschenburg widerspricht dem klar und deutlich und legt dar, warum gerade aus den Biografien und Äußerungen dieser drei die Verpflichtung erwachse, vorsichtiger und historisch demütiger zu urteilen.

Rainer Eisfeld

Theodor Eschenburg und die deutsche Vergangenheit Kommentar zu Hans-Joachim Lang in INDES 1-2014

Die Kontroverse um Theodor Eschenburg und sein Verhalten während des „Dritten Reiches“ hat in den vergangenen Jahren das Fach der Politikwissenschaft stark beschäftigt – auch in INDES wurde diese Debatte geführt. In seinem Beitrag antwortet Rainer Eisfeld auf Hans-Joachim Lang, der Theodor Eschenburg in der INDES 01/2014 einen nur geringen Anteil an Enteignungen jüdischer Firmen während der NS-Zeit bescheinigt hatte. Eisfeld widerspricht nun dieser Ansicht in seiner Antwort und verweist auf eine Quellenlage, die anderes vermuten lasse – vor allem vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen und politischen Situation 1938, in der für jeden ersichtlich gewesen sei, wie sehr die Verfolgung und Drangsalierung der Juden in Deutschland zugenommen habe.

Jürgen Falter

„Die deutsche Politikwissenschaft ist geschichtsvergessen“ Über die Kontroverse um Theodor Eschenburg und die Vergangenheit der Politikwissenschaft

Der Politologe Jürgen Falter, einst selbst Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, ist aus Protest gegen die Abschaffung des Theodor-Eschenburg-Preises aus der Organisation ausgetreten. Weshalb – das erklärt er ausführlich im Interview mit INDES: Falter kritisiert dabei besonders die historiografischen Mängel, mit denen Eschenburgs Vergangenheit während des Nationalsozialismus ohne abwägende Würdigung seiner Verdienste für die deutsche Politikwissenschaft aufgearbeitet worden sei. Die Entscheidung der DVPW zeuge von moralisierender Selbstgerechtigkeit, von der Unfähigkeit, Eschenburgs Wirken in die historischen und persönlichen Umstände der damaligen Zeit einzuordnen, kurz: von Geschichtsvergessenheit.

Impressum

Illustration dieser Ausgabe:

Karl Oppermann

Die Collagen dieser Ausgabe entstammen Karl Oppermanns Serie „Doktorspiele“, die 1998 veröffentlicht wurde.