Die US-amerikanische Serie The Wire ist ein Abgesang auf den Kapitalismus: Anhand des scheinbar unaufhaltsamen Niedergangs der Stadt Baltimore seziert sie ein System von Abhängigkeitsverhältnissen, die weitgehend determiniert sind, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint – ein System, in dem der Drogenhandel eine ebenso wichtige Funktion erfüllt wie eine selektive Polizeipraxis, die der Spirale der Gewalt nicht mehr gewachsen ist. David Bebnowski analysiert The Wire als ein realistisches stadtsoziologisches Porträt, welches die katastrophalen Folgen der neoliberalen Rationalisierungsdynamik für ein urbanes Gemeinwesen offenlegt.
Was hat es mit den neuen Qualitätsserien auf sich? Warum können Serien Erfolg haben, die Politik in den Mittelpunkt stellen, wo sich die Bürger ansonsten doch genervt von allem Politischen abwenden? Spiegeln diese Serien politische Abläufe und Akteure realistisch wider? Haben sie gar einen didaktischen Nutzen für die politische Bildung der Zuschauer? Diese und andere Fragen beantworten Frank Kelleter und Andreas Jahn-Sudmann in dem Interview, das Jöran Klatt und Katharina Rahlf für INDES mit ihnen geführt haben.
Der Beitrag bietet eine empirische Analyse des sozialen Profils typischer Rezipienten von politischen Serienformaten und ihrer Wahrnehmung des realen wie auch des in diesen Serien fiktiv dargestellten politischen Lebens. Annekatrin Bock zeigt, dass vor allem ältere, gut ausgebildete männliche Zuschauer politische Serien favorisieren und das von diesen Produktionen vermittelte Bild von Politik keineswegs immer als besonders negativ empfinden.
House of Cards, Alpha House, Veep, The West Wing, Scandal,
Madam Secretary, State of Affairs … Das US-amerikanische Angebot an TV-Serien, die mehr oder weniger den Politikbetrieb zum Thema haben, wächst stetig. Die anhaltende Attraktivität dieser seriellen Darstellung ist dabei keineswegs leicht zu fassen. Zu groß sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Serien, insbesondere zwischen Qualität, inhaltlicher Ausrichtung und ideologischer Orientierung. Was also fasziniert die US-amerikanischen Serienzuschauer? In seiner kurzen Reflektion fasst Jan Kotowski die guten Gründe für die anhaltende Attraktivität des Politgenres zusammen und beschreibt die amerikanische Sehnsucht nach monarchischem Glanz und politisch-militärischen Allmachtsfantasien.
Philipp Loser untersucht zwei der denkwürdigsten Schweizer Politikvorgänge der jüngeren Geschichte: die Affäre des Badener Stadtammanns Geri Müller um Nackt-Selbstbilder am Arbeitsplatz im August 2014 sowie die Rücktrittsrede des sozialdemokratischen Bundesrats Moritz Leuenberger im Jahr 2010 („Wir treten auf. Wir spielen. Wir treten ab.“). Beide Szenen, so der Autor, waren Marksteine in der Schweizer Politik – zumindest was deren Form angeht. Denn: Sie sind Ausdruck einer Durchdringung der politischen Kultur mit populärkulturellen Elementen und Belege für die Amerikanisierung der Schweizer Politik. Eine weitverbreitete „Entschuldigungskultur“ habe Einzug gehalten, kritisiert Loser.
Wenn popkulturelle Phänomene in die Realität greifen: Amerika 2009, Sergeant Bowe Bergdahl wird im Austausch gegen fünf in Guantanamo inhaftierte Al-Qaida-Kämpfer freigelassen. Doch seine Heimkehr löst statt großem Jubel eine heftige innenpolitische Debatte aus, die in ihrem Verlauf keineswegs unbekannt ist. Sie wurde bereits intensiv geführt – jedoch von Schauspielern in der Fernsehserie Homeland. Lars Koch reflektiert in seinem Essay die US-amerikanische Serie Homeland und ihre Hauptfigur im Hinblick auf die nach 9/11 dominierende Medialisierung von Gefahr.
Politikserien wie House of Cards bieten in ihren Erzählsträngen das ganze Spektrum der Emotionen und Themen, die Soziologen wie Georg Simmel in ihren Arbeiten herausgeschält haben, und lassen daher ein umfassendes Panorama sozialer Formen erkennen, wie in einem Brennglas konzentriert: den Streit, die Konkurrenz, die Über- und Unterordnung, den Tausch, die Geheimhaltung, die Kooperation. Die Darstellung des Funktionssystems Politik in seinen unterschiedlichsten Facetten korreliert Il-Tschung Lim in seinem Aufsatz mit den soziologischen Grundlagen der Interaktion.
Die Politikserie Borgen ist in Dänemark ein Straßenfeger und im internationalen Unterhaltungsgeschäft ein Exportschlager. Wohlgemerkt geht es in dem ungemein populären Werk um Politik. Clemens Wirries ergründet den verblüffenden Erfolg der Serie und deckt konkrete Bezüge zur Wirklichkeit auf. Die Beliebtheit von Borgen gründet vor allem auf dem hohen Wiedererkennungswert realer Politiker und Parteien in der Serie, zudem werden elementare Probleme des dänischen Minderheitenparlamentarismus offengelegt und zahlreiche Phänomene der politischen Kultur und des politischen Systems in Dänemark aufgegriffen. Und auch das politische Projekt der Borgen-Protagonistin Birgitte Nyborg, die Gründung einer neuen Partei, hat Entsprechungen in der politischen Wirklichkeit. Insgesamt vermittelt Borgen eine Vorstellung von dem, was westeuropäischen Demokratien für die nahe Zukunft bevorsteht.
Bettina Soller und Maria Sulimma analysieren entlang zweier US-amerikanischer Politfernsehserien die Rolle von Politikerinnen als Protagonistinnen. Die Darstellungen von Politikerinnen in TV-Serien, so die Autorinnen, eröffnen alternative Szenarien, begegnen bestehenden Geschlechterstereotypen und verhandeln diese neu. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen die politische Beraterin und Krisenmanagerin Olivia Pope, Hauptfigur der Serie Scandal, sowie die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten Selina Meyer aus der HBO-Serie Veep. Die Autorinnen beleuchten die Komplexität von seriellen Verhandlungen von Weiblichkeit und Machtpositionen in der Politik und arbeiten Ambivalenzen der Darstellungen im Privaten, im Berufsleben als Vorgesetzte sowie als weibliche Akteurinnen in der Politik heraus.
Obwohl eine amerikanische Fernsehproduktion, ist die Politikserie House of Cards in China, dabei vor allem unter Politikern, höheren Angestellten und Geschäftsleuten, äußerst beliebt. Felix Flos fahndet nach Gründen, warum ausgerechnet das Produkt eines kapitalistischen Wirtschaftssystems die restriktive Zensur der chinesischen Behörden passiert hat und woher dessen Popularität im Reich der Mitte rührt. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Serie durch die Darstellung chinesischer Technologien und Akteure Stolz vermittelt und außerdem das im eigenen Land unterdrückte Bedürfnis nach einem Blick hinter die Kulissen befriedigt. Die chinesische Fernsehaufsicht dürfte überdies daran Gefallen gefunden haben, dass in House of Cards das politische System der USA – eine überaus traditionsreiche Demokratie – als korrumpierbar und soziopathisch geschildert wird. Und nicht zuletzt weist der Protagonist von House of Cards, Frank Underwood, starke Parallelen zu Chinas einstigem politischen Führer, Deng Xiaoping, auf.
Julia Kiegeland und Christopher Schmitz widmen sich in ihrem Aufsatz der Serie The Walking Dead und betrachten diese vor dem Hintergrund eines permanenten Ausnahmezustandes, der auch die Analogiefolie darstellt, um Entwicklungen auf unsere heutigen, realen Gesellschaften zu übertragen. Was die permanente Erfahrung von Gefahr, Zerstörung und Ausweglosigkeit aus menschlichen Gemeinwesen macht, wie stark und rasch sich scheinbar universelle Werte unter Druck nicht mehr halten lassen oder über Bord geworfen werden – diesen packenden Parallelen zu Diskussionen, welche nach dem 11. September 2001 in den USA und Europa stattgefunden haben, folgen die beiden Autoren durch die Serie hinweg.
Die Simpsons sind viel mehr als nur platte Fernsehunterhaltung, die Serie ist Popkultur, ohne dabei jedoch low culture zu sein. Jöran Klatt zeigt, wie die Macher der Serie es schaffen, ein überspitztes Abbild der Realität und der amerikanischen Gesellschaft zu zeichnen und dabei sowohl politisch als auch humorvoll zu sein.
Während der Pädophilie-Debatte hielten die Grünen sich im Hintergrund und blieben ungewöhnlich leise in Bezug auf ihre eigene Vergangenheit. Mit ihrer Parteigründung nahmen sie vorangegangene soziale Bewegungen, Ideen und Entwicklungen auf. Franz Walter stellt sowohl die Akteure, die in den Jahrzehnten vor den Grünen für die sexuelle Revolution gekämpft und die Pädophilie befürwortet haben, dar als auch die Art und Weise, in der dies erfolgte. Er zeichnet dabei Diskussionen und Positionen nach und offenbart damit die Komplexität der Pädophilie-Debatte.
Im zweiten Teil seines Artikels „Vom Aufarbeitungsjahr 2013 zum Erinnerungsjahr 2014“ widmet sich der Potsdamer Zeithistoriker Martin Sabrow den Wandlungen der „Erinnerung“ an den Ersten Weltkrieg und zeigt, wie unglaublich wandelbar die Vergangenheit des Ersten Weltkriegs geblieben ist und wie durchschlagend bis heute die Geltungsmacht ihrer unterschiedlichen Erzählmuster ist, die sich hinter dem scheinbar harmlosen Begriff der
„Erinnerung“ verbergen.
In Reaktion auf Leserbriefe zum Artikel über die politischen Biografien von Philipp Scheidemann und Otto Wels als Repräsentanten einer sozialdemokratischen Generation, welcher der entschlossene Wille, die Härte und die konzeptionelle Fähigkeit zur politischen Macht abging, zeigt Franz Walter anhand der politischen Biografien des zweifachen Reichskanzlers und Reichsaußenministers Hermann Müller sowie des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, dass auch diese, trotz ihrer machtvollen Positionen, letztlich als Beispiele jener lähmenden Differenz zwischen immenser Organisationskraft der Sozialdemokratie und ihrer trostlosen Machtlosigkeit gelten können.
Vor dreißig Jahren erschienen die „Zeitgeschichtlichen Kontroversen“ von Karl Dietrich Bracher, einem der bekanntesten Politikwissenschaftler der Bundesrepublik. Thematisch kreisen die hier zusammengeführten Aufsätze um das Thema „Demokratie und Diktatur“. Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – die Texte nicht dem Zeitgeist der frühen 1980er Jahre entsprachen und seinerzeit insofern nicht groß Furore machten, sind sie für die Demokratieforschung unverändert aktuell und allein schon deshalb lesenswert.