Ralf Klausnitzer verdeutlicht die große Bedeutung wissenschaftlicher Schulen für die Erkenntnisproduktion; aber er weist auch auf ihre Ambivalenzen hin. Zumeist zeichen sich solche Schulen durch eine dominante Gründer- und Lehrerfigur aus, die sowohl bdeutsame Innovationen als auch sektenähnliche Abschottung bewirken kann. Schulenbildung geschieht durch die Herstellung von Präsenz und systematische Rekrutierung von Nachwuchs, das Ende einer Schule steht meist in starker Abhängigkeit ihres Gründers und der Akzeptanz durch das Umfeld. Etablierte Schulen können in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ihr Wissen und ihre Methoden, sogar neue Disziplinen durchsetzen.
Welche organisationalen Merkmale zeichnen wissenschaftliche Schulen gegenüber anderen Formen akademischer Wissensproduktion aus? Jan-Hendrik König geht dieser Frage aus einer wissenssoziologischen Perspektive nach. Seine zentrale These lautet: Schulen erbringen innerhalb des Wissenschaftssystems spezifische Leistungen und zeichnen sich durch besondere soziale Konstellationen aus, weshalb es sich nach wie vor lohnt, sich mit ihnen analytisch auseinander zu setzen – auch heute, da die klassischen Patronage-Formen, die die Schulen-Strukturen im 19./20. Jahrhundert geprägt haben, sich in Auflösung befinden.
Nicht nur die Bedeutung von wissenschaftlichen Schulen in den Systemen der universitären Wissensproduktion sei äußerst gering – auch der analytische Ertrag von Studien, die solche Denkschulen in den Blick nehmen, fördere nur wenig Erkenntnisse über Regeln und Interaktionsmuster innerhalb der scientific community zutage. Diese provozierenden Thesen vertritt Emily Hauptmann – wissenschaftlich selbst in der Berkeley School verwurzelt – in ihrem Beitrag über Denkschulen in der US-amerikanischen Politikwissenschaft.
Wissenschaftsschulen können durch Strukturen der Lehrenden auf die Entfaltung junger Wissenschaftler wie ein Korsett wirken, allerdings bieten Wissenschaftsschulen jungen Wissenschaftlern Stabilität, Solidarität und mittels „Stallgeruch“ oftmals Reputation innerhalb wissenschaftlicher Kreise. Mit der Auflösung der traditionellen Wissenschaftsschulen werden die neuen Medien von immer größerer Bedeutung für die Etablierung neuer Wissenschaftler, dort müssen sie es schaffen, ohne wissenschaftliche Markierung Fuß zu fassen sowie sich mit anderen Wissenschaftlern zu vernetzen und Ideen auszutauschen. Stefan Haas hebt in seinem Beitrag hervor, welche Möglichkeiten und Probleme die digitalen Medien Wissenschaftlern bieten, um sich zu etablieren, zu entwickeln und andere zu erreichen.
Ellen Thümmler analysiert in ihrem Beitrag Entstehung und Entwicklung der sog. „Köln-Mannheimer Schule“ der Politikwissenschaft, die von Aloys Hermens begründet und von seinen engen Schülern Ferdinand Kaltefleiter und Rudolf Wildenmann fortgeführt wurde. Zu den Prämissen dieser Schule gehörten das Primat der politischen Form sowie die methodische Präzisierung ihrer Analyse. Aus dieser Verbindung von „Form und Funktion“ als Leitlinie politikwissenschaftlichen Forschens sei, so Thümmler, ein spezifisches wissenschaftliches Selbstverständnis entstanden: Politikwissenschaft als Policy-Science, als Sozialtechnologie.
Ab den 1960er Jahren haben Quentin Skinner, J. G. A. Pocock und John Dunn mit ihren kontextualistischen Forschungsansätzen und dem von ihnen befeuerten Linguistic Turn die bis dato noch immer einflussreiche klassisch-kanonische Great-Books-Tradition der politischen Ideengeschichte nachhaltig erschüttert und in neue Bahnen gelenkt. In seinem Beitrag über die „Cambridge School“ fragt Martin Baesler nach dem Verständnis politischen Handelns und Urteilens, das dem methodologischen Programm dieser Schule zugrunde liegt. Baesler vertritt die These, dass vor allem Dunns „skeptischer“ Politikbegriff und dessen Überlegungen zum Begriff der „Klugheit“ handlungsorientierende Impulse für ein realistisches Verständnis gegenwärtiger politischer Prozesse bieten können.
Sie gelten als elitäre und antiliberale Gruppe von exotischen „Fanatikern“, für nicht wenige als eine schwer zu ertragende Sekte von Wahrheitsgläubigen: die Straussianer, jene Anhänger des deutsch-amerikanischen Politologen Leo Strauss, die mit Verve gegen den „liberalen Relativismus“ der modernen Naturrechtstradition polemisierten. Mit ihrer ideengeschichtlichen Hermeneutik erwarben sie sich allerdings gleichsam unbestreitbare Verdienste um eine Re-Etablierung der normativen Politischen Theorie. Danny Michelsen schält den philosophischen Kern ihrer Denkschule heraus und entdeckt gerade mit Blick auf den prominenten Begriff des Common Sense einige Widersprüche, Verwirrungen und Vagheiten.
Die Frankfurter Schule ist untrennbar mit den Namen Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas verbunden. Vielleicht leistete sie – und tat es in den 1970er Jahren sicher – mit der kritischen Theorie die wirkungsmächtigste Theoriebildung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie und wodurch diese kritische Theorie ihres Wesenskernes beraubt, inwiefern erst ihr Zerfallsprodukt die Frankfurter Schule tatsächlich zu einer sozialwissenschaftlichen Schule machte und welche Rolle Jürgen Habermas in diesem Prozess gespielt hat – das alles beschreiben Hannes Keune und Julian Schenke in ihrem Text.
Christoph Nonn widmet sich einem Paradebeispiel der Schulenbildung. An Theodor Schieder und seinen berühmten Schülern Wolfgang Mommsen und Hans-Ulrich Wehler zeigt Nonn, wie Schieder sich für seine Schüler einsetzte und in welcher Ambivalenz diese zu ihrem Lehrer standen.
Jürgen Kocka war jahrzehntelang zusammen mit dem kürzlich verstorbenen Hans-Ulrich Wehler der Doyen der Bielefelder Schule. Im Interview lässt er die 1970er Jahre wieder lebendig werden, schildert die Ursachen der Gruppenbildung, das Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaftler und nicht zuletzt auch, welche Rolle die Stadt Bielefeld und die dortige Universitätsneugründung dabei gespielt haben. Das Beispiel der Bielefelder ist dabei in vielem exemplarisch und mustergültig für Wissenschaftsschulen. Dies gilt nicht zuletzt für den Umstand, dass letztere aus der Ferne nicht selten sehr viel schärfere Konturen annehmen als aus der Nähe. So erfolgt etwa die Benennung einer Schule vielfach von außen, die damit Gemeinten empfinden sich selbst dagegen gar nicht so sehr als Angehörige einer solchen – auch darüber spricht Jürgen Kocka in dem Interview.
Im Herbst 1939, vor 75 Jahren, starben mit Philipp Scheidemann und Otto Wels zwei der wichtigsten Exponenten der deutschen Sozialdemokratie am Beginn des 20. Jahrhunderts. Geprägt durch die goldenen rund zwanzig Jahre nach dem Ende der Sozialistengesetze können sie beide als Mitglieder einer aufsteigenden und aufbauenden Generation junger Sozialisten gelten. Im Jahre ihres Todes indes war vom prallen Optimismus der Generation Scheidemann und Wels nichts mehr übrig. Aufstieg und Niedergang der Sozialdemokratie verzahnen sich in diesem Portrait zweier großer Sozialdemokraten aufs Engste.
Über der Biografie von Carl Schmitt liegt seit 1933 ein tiefer Schatten. Seit der Auflösung der Weimarer Republik gilt Schmitt als „Kronjurist“ des nationalsozialistischen Regimes, wurde in der Vorgeschichte und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erst einmal ausgegrenzt und fungierte als negativer Bezugspunkt für die Aufarbeitung der Vergangenheit. Schmitt fand sich damit überhaupt nicht ab und begann schon 1945 damit, das neue, amerikageprägte Juste Milieu zu bekämpfen. Recht bald stand er im Zentrum von teils altbekannten, teils aber auch neuen deutschen und ausländischen akademischen Freunden und Verehrern, die einen Kreis um ihn bildeten und sich seit den späten 1940er Jahren bis heute gegen oft drückenden Gegenwind zu behaupten hatten. Aber während viele andere im Nationalsozialismus prominente Akademiker heute entweder vergessen oder ins Archiv gewandert sind, hat Schmitt seine Stigmatisierung als böser Phönix bis heute behalten. Die Rezeption seiner Ideen und Theorien beeinträchtigte das kaum. Über den Kreis um und die Faszination Schmitts als ideengeschichtlicher Klassiker schreibt Wilfried von Bredow in seinem Beitrag.
Samuel Salzborn plädiert in seinem Beitrag für eine Erweiterung der sozialwissenschaftlichen Unterscheidungssystematik. Die Unterscheidung zwischen qualitativen und quantitativen Ansätzen in der Sozialforschung beruhe auf einem „unhinterfragten Scheinkonsens“, so Salzborn. Vielmehr bildeten quantitative und qualitative Methoden lediglich zwei Spielarten „derselben methodologischen Medaille“, seien als eine gemeinsame, nämlich die empirische Seite aufzufassen, argumentiert Salzborn. Die eigentlich zweite Seite, – die theoretische – werde in der Methodendiskussion hingegen zu oft vergessen.