Als nicht unproblematisch, letztlich jedoch äußerst produktiv empfindet der Tübinger Historiker Anselm Doering-Manteuffel die Konzentration auf ein einzelnes Kalenderjahr, in diesem Fall eben: 1979. Für ihn stellt 1979 eine ebensolche Zäsur dar wie die Jahre 1957/58 und das Jahr 1995. Denn damals sei eine gesamte Epoche samt ihrer Selbstverständnisse und Selbstverständlichkeiten, die geprägt gewesen sei von wirtschaftlicher Prosperität, gesellschaftlicher Liberalisierung und außenpolitischer Entspannung, zu Ende gegangen. 1979, so Doering-Manteuffel, erscheint insofern sowohl aus politökonomischer als auch von demokratietheoretischer Seite her als ein Jahr des Umbruchs.
Als ein Jahr, in dem sich besonders stark die Dialektik der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zeige, zeichnet Franz Walter das Jahr 1979. Widersprüchliche Entwicklungstrends prägten das Jahr, „überlappten sich, widersprachen sich, verliefen quer zueinander“, sodass es einen gemeinsamen Nenner kaum gibt. Die Zäsuren und Umbrüche des Jahres waren ambivalent: So erstarkten vordergründig konservative Politik- und Gesellschaftsvorstellungen, während viele der zuvor wirksamen Liberalisierungsschübe ihre Bedeutung nicht verloren.
Historische Umbrüche halten sich nicht an Kalenderblätter. Vielmehr vollziehen sich große Veränderungen längerfristig; und auch die Wucht von epochalen Ereignissen wird erst in langen Linien deutlich. Tatsächlich erleben die Zeitgenossen ihre Gegenwart synchron, im Zusammenspiel von Ereignissen. Wer morgens die Welt per Zeitung oder Radio erkundet, erhält ein Panorama unzusammenhängender Vorgänge, die sich unterschiedlich verbinden. Auch 1979 ist nicht durch einen übergreifenden Systemwechsel gekennzeichnet. Bereits die Zeitgenossen nahmen es zwar als ein Jahr der Krisen und Umstürze wahr; aber geschichtsmächtige Kontur haben einige Ereignisse dieses Jahres erst seit den 1990er Jahren gewonnen. Denn viele Umbrüche von 1979 etablierten die großen Themen der Gegenwart: vom Neoliberalismus zu neuen religiösen Fundamentalismen, Globalisierung, Energiepolitik bis hin zum Untergang des Realsozialismus.
Was hat die praktische Sexualtherapie mit der marxistischen Gesellschaftskritik zu tun? Dagmar Herzog zeigt, dass die von einer jungen Generation von Sexualtherapeuten betriebene Liberalisierung des Sexualstrafrechts mit der Wiederentdeckung von oft, aber nicht ausschließlich jüdischen sexualradikalen Autoren der 1910er/20er Jahre zusammenhing. Sie wirft die Frage auf, ob die sexuelle Revolution die sexuellen Schwierigkeiten der Menschen eher verschärft oder gelindert hat; und veranschaulicht, inwiefern das Nichtsexuelle in die Sexualität mit hineinspielt.
Claus Leggewie zeigt Gründe und Fügungen für den Durchbruch und Erfolg der GRÜNEN seit 1979 in Deutschland auf, beleuchtet dabei die dahinter stehenden Prozesse und öffnet den Blick für internationale Zusammenhänge und die zukünftigen Aufgaben der Partei.
Die Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie »Holocaust« in der Bundesrepublik im Januar 1979 wurde bereits von Zeitgenossen wie Heinrich Böll als Zäsur der bundesdeutschen Erinnerungskultur betrachtet. Seitdem hat sich das Bild verfestigt, die Serie als eigentlichen Auftakt für den Übergang „vom Beschweigen zur Medialisierung“ und für die heute dominante Zentrierung der bundesdeutschen Erinnerungskultur um den Mord an den europäischen Juden zu betrachten. Anders als in den wenigen früheren dokumentarischen Film- und Fernsehproduktionen wurden Juden nun selbst als identifizierbare, wenngleich fiktionale Akteure sichtbar. Gleichwohl waren die Kritiken an der Serie als verharmlosende Populärhistorie sehr emotional. Und vor allem die ersten Jahre nach »Holocaust« waren von einem intensiven Ringen um die Deutungshoheit des nationalen Identitätsnarrativs geprägt
Schon 1979, zehn Jahre vor dem Mauerfall, als die DDR ihren dreißigsten Geburtstag beging, handelte es sich bei den Feierlichkeiten nur noch um hohle Inszenierungen eines längst aufgekündigten „Beistandspaktes“ zwischen Herrschern und Beherrschten. Michael Lühmann zieht in seiner Analyse eine Linie von den späten 1970er Jahren bis zum Regimezusammenbruch. Der Text erschließt, wo sich bereits damals die Sollbruchstellen im sozialistischen Staat auf deutschem Boden zeigten, woran die DDR später zugrunde gehen sollte und welche Rolle die zweite Ölpreiskrise dabei spielte.
Traditionelle Netzwerke, moderne Medien, strategische Kommunikation, Moscheen und einflussreiche Kleriker: Das Jahr 1979 gilt als Wendepunkt der iranischen Geschichte, insbesondere mit Blick auf die bedeutenden gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen. Der Einfluss regionaler Netzwerke sowie die Mediennutzung im Iran spielten zu dieser Zeit bereits eine bedeutende Rolle und gestalteten den Widerstand vielfältig sowie überraschend einfallsreich. Katja Föllmer schreibt über die Spannungen zwischen Meinungsfreiheit und islamischer Ausrichtung innerhalb der iranischen Gesellschaft.
Der Politikwissenschaftler und Soziologe Severin Caspari spürt der Rolle von Religion innerhalb einer modernen Gesellschaft nach und arbeitet dabei heraus, dass der Islamismus als ein modernes Phänomen verstanden werden kann, welches durchaus von Merkmalen einer modernen Gesellschaft geprägt ist. Dadurch legt er die Lücke innerhalb der Modernisierungstheorie offen und verdeutlicht die Notwendigkeit, der Religion innerhalb der Moderne mehr Raum zu geben.
Anhand einer quellengesättigten Inspektion des skandalumrankten Kieler Parteitages der CDU im März 1979 zeigen Hanna Feesche und Robert Mueller-Stahl wie sensibel das beharrlich konservative Milieu der CDU gesellschaftliche als auch parteiinterne Wandlungsprozesses jener Jahre erspürt haben mag.
Allerorten befürchtete machtpolitische Verschiebungen führten 1979 zu der viel diskutierten Amtsbesetzung des gelernten Beamten Karl Carstens. Als Bundespräsident galt er als Exponent der rechtskonservativen Gegenreform und widersprach somit auf überraschende Weise dem Zeitgeist.
Wie aber konnte der sachlich, neutral, ohne überschüssige Emotionen beschriebene Carstens in diese bedeutende Position gelangen? Franz Walter reflektiert seinen privaten wie politischen Werdegang und den historischen Kontext seiner Amtsbesetzung.
Dem streitbaren Historiker und Journalisten Sebastian Haffner gelang 1979 mit einer Geschichte Preußens ein Bestseller, der vor allem aufgrund seiner Hauptthese, das Hohenzollernreich sei auch in rechtsstaatlicher Hinsicht ungewöhnlich modern gewesen, von großen Teilen der Geschichtswissenschaft als revisionistisch kritisiert wurde. Jürgen Peter Schmied zeigt in seinem Beitrag, dass die Kontroverse um Haffners Buch dennoch eine breite gesellschaftliche Debatte um die Bedeutung des preußischen Erbes für das Selbstverständnis der Deutschen angeregt hat.
Im Interview mit Felix Butzlaff und Matthias Micus beleuchtet Eckhard Jesse kritisch Stand und Perspektiven der deutschen Politikwissenschaft und warnt hierbei vor einem möglichen Deutungsverlust der traditionsreichen und für die Bundesrepublik konstitutiven Politikwissenschaft, der er ein Übermaß an Selbstreferenzialität und Überspezialisierung bescheinigt, welche dem Fach die notwendige öffentliche Sprachfähigkeit raube.
Dass die Arbeitsbedingungen für einen großen Teil des Mittelbaus an deutschen Universitäten prekär und dringend reformbedürftig sind, ist zwar weithin bekannt; jedoch wurden bislang nur wenig belastbare Daten zur empirischen Fundierung dieser Diagnose erhoben. In diesem Aufsatz werden Ergebnisse einer Befragung von Beschäftigten im Mittelbau der Universität Leipzig vorgestellt, die im Jahr 2015 von der Mittelbauinitiative der Universität durchgeführt worden ist. Diese Erhebung zeigt, dass Armut und ständige Existenzängste im Mittelbau weitverbreitet sind und dass Maßnahmen wie die aktuelle Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes keinesfalls ausreichen, um die systemischen Ursachen dieser schlechten Rahmenbedingungen zu beseitigen.