»Digitalisierung bedarf des aufgeklärten Bürgers« Ein Gespräch mit Wolfgang M. Schmitt über Digitalisierung und die Grenzen des digitalen Diskurses.

Interview mit Wolfgang M. Schmitt

Schauen wir aber nach Russland, Iran oder China sehen wir alternative social-media- Plattformen, zudem greift der Staat sehr restriktiv in Plattformen und Internet ein. Dabei lauert hier jenseits des Beschriebenen eine Gefahr für die Freiheit des Einzelnen.

Die Gefahr besteht natürlich auch bei der EU. Und man wird fragen müssen: Was haben, wir denn beziehungsweise, wer sichert denn gerade die Freiheit, die wir heute im Internet haben? Die ist natürlich nicht staatlich garantiert, zugleich haben wir offenkundig kaum ein Problem damit, dass Konzerne diese Form der Freiheit zur Verfügung stellen und absichern. Aber das Kapital interessiert sich nicht für irgendwelche politischen Werte oder für demokratische Zielvorstellungen wie jenen aufgeklärten Diskurs, den wir eingangs diskutiert haben. Denn Facebook ist und bleibt es natürlich vollkommen egal, ob die vielen Klicks mit »PEGIDA«-Demonstrationen, mit schönen Kochvideos von YouTube oder sonst woher generiert werden. Das ermöglicht dann natürlich nur eine Freiheit, die auf einem kapitalistischen Wirtschaftsmodell basiert. Und das ist doch in gewisser Weise wirklich nur eine Scheinfreiheit. Nur ist diese radikale Eingeschränktheit eine, die sich weit weniger bemerkbar macht, die überdies und interessanterweise vielen Netzgurus lange Zeit und auch zum Teil heute noch viel weniger Sorge bereitet, als es die staatliche Eingriffe tun. Natürlich sieht man diese andere große Gefahr gerade am Beispiel der der NSA-Affäre in der Bundespolitik und deren Verhalten. Aber so zu tun, als wäre das, was mir Google, Facebook und Co. zur Verfügung stellen, wirkliche Freiheit, das wäre vermessen und wohl auch naiv. Man wird deshalb mehr als bisher darüber nachdenken müssen, und damit schließt sich der Kreis zu den Ausgangsüberlegungen, wie sich solche Plattformen in irgendeiner Weise vergesellschaften ließen, ohne dass sie sogleich politisch gesteuert würden. Was wir beispielsweise als einen ersten möglichen Schritt dringender denn je bräuchten, wären viel mehr sich politisch verstehende Programmiererinnen und Programmierer.

Deren Verantwortungsbewusstsein bezüglich der von Ihnen angesprochenen Modi ist aber mindestens umstritten. Schließlich gilt das Silicon Valley als das Zentrum des modernen digitalen Kapitalismus. Und das, obwohl es, aus der amerikanischen Gegenkultur gegründet, immer auch etwas Nonkonformistisches hatte. Wie steht es denn, zum Abschluss, um Potentiale, denken wir etwa an Anonymus, für heutige Gegenkultur, für einen Ausbruch aus dem diskutierten Dilemma?

Ich denke schon, dass es solche Gegenbewegungen geben kann, die indes nicht gleichzusetzen sind mit dem Geist des Silicon-Valley. Aber anhand des Silicon Valley lässt sich nochmals in konzentrierter Form nachvollziehen, welche generellen Mechanismen im Wechselspiel von Kapitalismus und Kapitalismuskritik in der westlichen Welt gewirkt haben und auch weiterhin sehr erfolgreich wirken. Gerade weil der Kapitalismus nicht an traditionellen Werten, an konservativen Werten interessiert ist, konnte er auch noch sämtliche Protestbewegungen kapitalistisch einverleiben. Wie Marx es bereits im kommunistischen Manifest beschrieben hat, lebt der Kapitalismus auch immer von disruptiven Kräften, aus denen er sich letztlich schöpferisch erneuert, um auf eine bessere, schnellere, effizientere Ebene zu gelangen.

Wir beobachten zwar immer wieder politisches Engagement des Silicon Valley, etwa für Diversity und gegen Rassismus. Aber dieses Engagement resultiert weniger aus einer politischen Überzeugung denn aus einer kapitalistischen. Es ist eben nicht nur linke Politik, sich gegen patriarchale Strukturen zu stellen oder gegen Rassismus zu kämpfen. Es ist schlichtweg die Einsicht, dass die Wirtschaft leiden würde, blieben alle Frauen wieder zuhause und kümmerten sich um die Kindererziehung oder denken wir an Gary S. Beckers Überlegungen zum Humankapital, der anhand empirischer Forschung belegt, warum es kapitalistisch überhaupt nicht ökonomisch sinnvoll ist, Rassist zu sein. Antriebsfedern für das Silicon Valley sind nur auf den ersten Blick wertebasiertes Agieren. Nicht zuletzt ist auch das anti-staatliche Moment des Silicon Valley nicht zu verachten, wenngleich mit autoritären Staaten laufend paktiert wird. Momentan haben Valley-Vertreter Angst, dass ein neuer Protektionismus den Kapitalismus gefährden könnten: Man baut wieder Mauern, man nagelt wieder Kreuze an die Wand, um Identität zu stiften und man spricht wieder von Heimat. Aber gerade Heimat ist für mich ein Begriff, der ins Spiel gebracht wird, weil die nationalstaatliche Souveränität längst dem globalem Kapitalismus preisgegeben wurde und der Staat nur noch in Erscheinung tritt, um das Gewaltmonopol aufrechtzuerhalten. Das wird dann gekoppelt mit dem Heimatbegriff und es wird dann so getan, als existiere der vom Finanzmarkt- und Plattformkapitalismus weitgehend unberührte alte Staat. Aber das ist wirklich nur ein Trugbild. Echter Heimatschutz wäre indes etwas völlig anderes: Wenn etwa Horst Seehofer den Whistleblowern und Netzaktivisten Edward Snowden und Julian Assange in Deutschland Asyl mit dem Ziel gewähren würde, mit deren Hilfe eine Strategie zu entwickeln, wie Bürgerinnen und Bürger wieder Souveräne ihrer eigenen Daten würden. Das wäre wahrer Heimatschutz. Aber, da sind wir uns wohl alle einig, das wird nicht passieren.

Das Interview führten Marika Przybilla-Voß und Jöran Klatt.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -201 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 201