Neonazis im Dienst des Staates Die Verstrickung des Inlandsgeheimdienstes in rechtsextreme Szenen und Parteien sowie das Umfeld des NSU
Speziell im Fall der Nazi-Mordserie und der Nichtermittlung ihres rassistischen Hintergrunds kann man kaum allein von Unfähigkeit, Pannen oder Konfusion des polizeilichen Staats- und geheimdienstlichen Verfassungsschutzes sprechen. Es muss allerdings zusätzlich von ideologischen Scheuklappen der traditionell antikommunistisch geprägten Sicherheitsorgane ausgegangen werden, von Ignoranz und systematischer Verharmlosung des neonazistischen Spektrums – ja, auch von institutionellem Rassismus, wie die vollkommen einseitigen NSU-Polizeiermittlungen einer »Soko Bosporus« im »migrantischen Milieu« deutlich zeigen, mit denen die Opfer der »Döner-Morde« und ihre trauernden Angehörigen in geradezu rassistischer Weise hartnäckig in schweren Verdacht gebracht und ausgeforscht wurden.
Eine jahrzehntelang einseitig ausgerichtete Politik der »Inneren Sicherheit« begünstigte diese fehlgeleitete Praxis: Terror und Gewalt, Bedrohungen und Gefahren für Demokratie und Verfassung werden – oft alten Feindbildern folgend – in erster Linie mit »Linksextremismus«, »Ausländerextremismus« sowie mit »Islamismus« assoziiert. In diesen Zusammenhängen werden alle Präventions- und Repressionsregister gezogen, die den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehen und im Zuge eines exzessiven Antiterrorkampfes, besonders seit 9/11, noch erheblich ausgebaut und verschärft worden sind. Ermittlungsbefugnisse und mögliche Maßnahmen hätte es demnach mehr als genug gegeben – doch gegen neonazistische Strukturen sind sie offenbar nur zögerlich angewandt worden.
Es ist angesichts dieses enorm gewachsenen Ermittlungsarsenals in hohem Maße erklärungsbedürftig, weshalb der rassistische Hintergrund der Mordserie nie ernsthaft erwogen und ausgeleuchtet worden ist, obwohl doch den Sicherheitsbehörden die späteren Täter schon lange bekannt waren, und obwohl Polizei und VS, wie wir inzwischen wissen, mit zahlreichen V-Leuten an ihnen und nach deren Untertauchen auch an ihren Kontaktpersonen und Unterstützern ganz nah dran waren.
So viel ist jedenfalls klar geworden: Insbesondere der VS musste von Beginn an, dank seiner »Quellen«, seiner geheimen Informanten und V-Leute, weit mehr über das Terror-Trio und sein Helfernetz gewusst haben als zunächst vermutet.[4] So stellt es etwa der Bericht des Untersuchungsausschusses des Bundestags fest, ebenso wie Berichte einzelner Landtage, etwa in Thüringen. Hiernach seien die VS-Quellenberichte vielfach weder intern weitergereicht noch ausgewertet, geschweige denn strafrechtsrelevante Erkenntnisse an die Polizei übermittelt worden – noch nicht einmal im Fall mutmaßlicher Verbrechen. Der Thüringer Ausschuss spricht insoweit vom Verdacht »gezielter Sabotage«.[5]
Auf der Anklagebank hätten daher weit mehr Angeklagte sitzen müssen als Zschäpe, Wohlleben & Co. Es fehlten weitere mutmaßliche Neonazis des NSU-Terrornetzwerkes, involvierte V-Leute, ihre V-Mann-Führer und alle für Versagen und Vertuschen Verantwortlichen aus VS, Polizei und Sicherheitspolitik.[6]
Symbiose von Verfassungsfeinden und Verfassungssützern
Ein Rückblick zeigt, dass um die Jahrtausendwende schon einmal ein Ruck durch das Land ging. Nach mehreren Gewaltakten und Anschlägen rief die herrschende Politik den »Aufstand der Anständigen« aus – gerade zu einer Zeit, als das »Ansehen Deutschlands in der Welt« auf dem Spiel stand und der Rechtsradikalismus zum wirtschaftlichen Standortnachteil geriet. Unterhohem Handlungsdruck stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat einen fachlich und politisch unverantwortlichen Antrag auf Verbot der NPD. Unverantwortlich weshalb? Weil sie diesen Antrag ungeachtet der V-Leute- Unterwanderung der NPD stellten und damit offenbar ein drohendes Geheimverfahren billigend in Kauf nahmen. Dies hätte ein rechtsstaatlich-faires Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht unmöglich gemacht, da zahlreiche V-Leute des VS lange Jahre in der NPD an führenden Stellen mitmischten, die dann im Verbotsprozess als geheime Zeugen fungieren sollten – ausgerechnet in einem Prozess, in dem der demokratische Rechtsstaat gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen verteidigt werden sollte. Insoweit und wegen dieser »Staatsnähe« der NPD war es verfassungsrechtlich nur konsequent, dass das Gericht diesen geheimdienstlich verseuchten Prozess im März 2003 aus verfahrensrechtlichen – nicht etwa aus inhaltlichen Gründen – einstellte.[7]
Das abschreckende Beispiel zeigt: Wir müssen immer wieder hinterfragen, wie der Staat seine gesetzlichen Schutzaufgaben wahrnimmt und ob er nicht mitunter die Gefahr, die er eigentlich bekämpfen soll, mit seinen eigenen spezifischen Mitteln und Methoden noch verschärft.
Im Zusammenhang mit dem ersten NPD-Verbotsverfahren erlebten wir die größte V-Mann-Affäre in der bundesdeutschen Geschichte. Zur Erinnerung: Etwa 30 der 200 NPD-Vorstandsmitglieder standen seit Jahren als V-Leute im Sold der VS-Behörden des Bundes und der Länder – also fast jeder Siebte, bis zu hundertfünfzig dürften es auf allen Parteiebenen gewesen sein. Allein diese hohe Zahl an staatlich bezahlten Neonazis dürfte erheblichen Einfluss auf die NPD und ihre menschenverachtende Politik gehabt haben. Der Berliner Landesvorstand soll sogar so stark unterwandert gewesen sein, dass der VS mit seinen V-Leuten einen Beschluss hätte herbeiführen können, die NPD in Berlin aufzulösen. Hat er aber nicht gemacht – im Gegenteil: Die V-Leute waren landauf, landab daran beteiligt, die NPD zu stabilisieren und auszubauen.[8]
So haben etwa die V-Leute Wolfgang Frenz und Udo Holtmann aus Nordrhein-Westfalen die NPD, trotz und parallel zu ihrer staatlichen Spitzel-Verpflichtung, jahrzehntelang mit aufgebaut, ihre Aktivitäten und Zielsetzungen an führenden Stellen entscheidend mitbestimmt und rassistisch geprägt – obwohl das nach den internen VS-Dienstvorschriften eigentlich untersagt ist. Frenz, Holtmann und andere haben also das Feld, das sie für den VS von innen beobachten sollten, als V-Leute selbst mitgestaltet. Der Staat hat diese rechtsextreme Partei über seine bezahlten Spitzel letztlich mitfinanziert und gestärkt, anstatt sie zu schwächen. Das heißt: Der Staat trägt hierfür eine Mitverantwortung. Als ich mir vor etwa anderthalb Jahrzehnten vorgenommen hatte, diese ganze Geschichte aufzuarbeiten, darüber hinaus überhaupt den V-Leute-Einsatz in Neonazi-Szenen genauer unter die Lupe zu nehmen, da konnte ich nur erahnen, was mich in diesem Dunkelfeld erwarten würde. Um es vorweg zu nehmen[9]: Diese Skandalgeschichte hat sich als weit grauenhafter erwiesen als ich mir das zu Beginn meiner Investigativ-Recherchen vorzustellen wagte. Damals hatte ich anhand geheimer Unterlagen und in Fallstudien bereits eingehend dokumentiert, was nach Aufdeckung der NSU-Mordserie fast zehn Jahr später bundesweit so großes Erstaunen und helles Entsetzen ausgelöst hat.
Das leise Eingeständnis des im Laufe der NSU-Schredder-Affäre in vorzeitigen Ruhestand geflüchteten Präsidenten des Bundesamts für VS, Heinz Fromm, seine V-Männer seien nun mal keine »Pastorentöchter«, wird der Dimension des Problems nicht wirklich gerecht. Besonders erschreckend war nämlich, wie systematisch, wie zwangsläufig V-Leute im braunen Sumpf kriminell werden, sofern sie es vor ihrer Verpflichtung nicht ohnehin schon waren. Und mit welcher Dreistigkeit der VS an ihnen festhält, sie in allzu vielen Einzelfällen deckt, ja selbst gegen Ermittlungen der Polizei abschirmt.
V-LEUTE DES »VERFASSUNGSSCHUTZES«: NEONAZIS IM DIENST DES STAATES
Nach dem »Vereinigungsjahr« 1990 hatten die Innenminister des Bundes und der Länder beschlossen, das rechtsextreme Spektrum verstärkt geheimdienstlich zu unterwandern, um, so die Begründung, die Aufklärung über die zunehmenden Gefahren rechtsextremistischer Gruppierungen zu verbessern. Seitdem ist ein weit verzweigtes Netzwerk aus V-Leuten, Lockspitzeln und verdeckten Ermittlern in allen Neonazi-Szenen entstanden. Nicht nur die NPD, auch andere rechtsextreme Parteien, Organisationen und Kameradschaften sowie die Skinhead- und Neonazi-Musikszene sind seitdem mit V-Leuten durchsetzt.[10]
Ein paar Beispiele zur Veranschaulichung:[11] V-Mann Hans-Dieter Lepzien war bereits in den 1980er Jahren als Sprengstoff-Lieferant für die niedersächsische Neonazi-Szene tätig; er wurde dafür auch verurteilt, allerdings recht bald vom damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens begnadigt.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019