Rechtsextreme Demokraten? Das Beispiel des Holocaust in Frankreich

Von Michael Mayer

Der französische Polizeichef René Bousquet horchte auf. Soeben hatte sein deutscher Gesprächspartner, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Reinhard Heydrich, davon gesprochen, dass ihm Züge zur Verfügung stünden. Mit diesen wollten die Deutschen staatenlose Juden, die im Konzentrationslager Drancy bei Paris interniert waren, »nach Osten zwecks Arbeitseinsatz« abtransportieren. Dem Franzosen erschien dies eine besonders günstige Gelegenheit. Als Polizeichef hatte er, nachdem deutsche Truppen Frankreich überfallen hatten, in Eigenregie ausländische und staatenlose Juden in der von Deutschland unbesetzten Zone im Süden des Landes in Lagern interniert. Diese wollte er nun irgendwie loswerden, wobei ihm Heydrichs Äußerungen wie gerufen kamen. Bousquet fragte daraufhin Heydrich, »ob nicht auch die über eineinhalb Jahre im unbesetzten Gebiet internierten Juden mit abtransportiert werden könnten«[1].

Dieses denkwürdige Gespräch fand im Mai 1942 statt, als der von Deutschland verantwortete Holocaust bereits in vollem Gange war. Dabei traf der Nationalsozialist Heydrich auf den kooperationswilligen linksliberalen Republikaner Bousquet. Aus dem Beispiel des Holocaust in Frankreich lässt sich somit die Frage ableiten, weshalb die Repräsentanten des französischen Staats zu aktiven Mittätern dieses Menschheitsverbrechens werden konnten? Wie autoritär agieren also Demokraten in Krisensituationen? […]

Anmerkungen

[1] Drahtbericht des Gesandten an der Deutschen Botschaft Paris, Rudolf Schleier, vom 11.9.1942 an das Auswärtige Amt, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, R 100.867, Bl. 34 (im Folgenden: PA/AA).

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018