Alltag und Gewalt Jugend und Sport im besetzten Elsass während des Zweiten Weltkriegs

Von Jan Hassink

In ihrem Tagebuch beschreibt Deyna Sackenreiter, Tochter eines Straßburger Chirurgen, ihren Alltag unter der deutschen Besatzung des Elsass während des Zweiten Weltkriegs. Am 16. Mai 1942 notiert die 15-Jährige: »Heute Nachmittag habe ich in der A.S.S. [Association sportive de Strasbourg, SV Straßburg 1890] zusammen mit Line, Véra, Simone und Denise de Miquette Tennis gespielt. Wir haben uns abgewechselt und, glaube ich, mehr Zeit damit verbracht, die Bälle aufzusammeln als richtige Schläge zu spielen. Es war auch das erste Mal, dass ich dieses Jahr gespielt habe. Daher war unser Spiel nicht eben überwältigend; aber wir haben uns amüsiert, und das war das wichtigste. […] Der Zustand der Bälle ist tragisch; meine sind ebenso wie mein Schläger während des Krieges verloren gegangen oder wurden gestohlen, und man findet keine neuen mehr. Kurz und gut, wir arrangieren uns.«[1]

Auch unter so krisenhaften Bedingungen wie während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg stellte Sport zu treiben, sich mit Gleichaltrigen zu treffen, dabei Ablenkung zu finden, die eigene körperliche Leistung zu verbessern und sich mit anderen zu vergleichen für Kinder und Jugendliche einen wichtigen Aspekt von Freizeit und Alltagsgestaltung dar. In dem Tagebuch der jungen Elsässerin stören der Krieg und die nationalsozialistische Herrschaft nur am Rande, durch den Mangel an geeignetem Sportmaterial, die Normalität ihrer Sportaktivitäten: Sie und ihre Freundinnen »arrangierten« sich mit den Bedingungen auf dem Tennisplatz. Gleichzeitig war Sport unter der Besatzung ein Herrschaftsmittel, er diente als Strafmaßnahme und Instrument zur Kontrolle und Disziplinierung gerade junger Menschen; unfreiwillige »Sportübungen« konnten Formen von körperlicher Misshandlung und Gewalt annehmen. [...]

Anmerkungen

[1] ] Das Tagebuch befindet sich im Bestand der Association pour l’autobiographie et le patrimoine autobiographique (APA) unter der Nummer 625. Orig. französisch, Übersetzung J. H.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. -2020 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2020