Atomspionage für Sowjetrussland? Der Fall Ethel und Julius Rosenberg

Von Sina Arnold  /  Olaf Kistenmacher

Bis heute wird darüber gerätselt, was Anfang der fünfziger Jahre zu der Ver­haftung von Ethel und Julius Rosenberg sowie zweier weiterer Angeklagter und schließlich zu dem Gerichtsverfahren geführt hat, das im Fall des Ehe­paars Rosenberg mit dem Todesurteil endete. Für viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen mögen sich die Eheleute eines Verbrechens schuldig gemacht haben, das, wie es der Richter Irving Kaufman am 5. April 1951 in seiner Urteilsbegründung ausdrückte, »schlimmer als Mord« gewesen sei. Der Rich­ter sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten »Hochverrat« gegenüber den Vereinigten Staaten begangen und der Sowjetunion entscheidende In­formationen zum Bau der Atombombe geliefert hätten. 1949 hatte die UdSSR den ersten erfolgreichen Atomwaffentest absolviert. Indem die Rosenbergs dazu beigetragen hätten, die Sowjetunion militärisch zu stärken, seien sie, so Kaufman, mitverantwortlich für die »kommunistische Aggression in Ko­rea mit den sich daraus ergebenden Verlusten von 50.000 Amerikanern«.[1]

Die meisten wissenschaftlichen Studien und auch viele literarische Ver­arbeitungen des Falls kommen zu einer entgegengesetzten Einschätzung. Demnach handelt es sich bei dem Prozess um einen Justizskandal, befördert von der antikommunistischen Paranoia der McCarthy-Ära. So schrieben Mi­riam und Walter Schneir 1965 in ihrem Bestseller Invitation to an Inquest, die Rosenbergs seien nicht nur zu Unrecht verurteilt, sondern für ein Verbrechen bestraft worden, das es nie gegeben habe.[2] Vielen politischen Linken in den USA und Europa erschienen Ethel und Julius Rosenberg bereits während des Gerichtsverfahrens als vollkommen unschuldige Opfer einer politisch geprägten Rechtsprechung. Als die Rosenbergs im Juni 1953 hingerichtet wurden, demonstrierten mehrere tausend Menschen in Manhattan, New York, gegen das Urteil und das Gerichtsverfahren. Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hatte in der Libération gegen das Verfahren Einspruch erhoben und vor einem »neuen Faschismus« in den USA gewarnt, Pablo Picasso hatte Ethel und Julius Rosenberg porträtiert, die Künstlerin Frida Kahlo hatte sich eben­falls für die beiden Angeklagten eingesetzt. Für sie und viele andere war die Unschuld, die das Ehepaar vor Gericht beteuert hatte, eindeutig.[...]

 

Anmerkungen

[1] Irving Kaufman, zitiert nach: Stefana Sabin, Apropos Ethel Rosenberg, Frankfurt a. M. 1996, S. 83–84.

[2] Miriam Schneir, Preface: A Long Journey, in: Walter Schneir, Final Verdict. What Really Happened in the Rosenberg Case, New York 2010, S. 26.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019