Parallelgesellschaften und Religion Katalysatoren oder Hemmnisse der Integration?

Von Jens Gmeiner  /  Matthias Micus

Mitte Februar 2016, mitten in der heißen Phase der deutschen Flüchtlingsdebatte, publizierten die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und der Schriftsteller Robert Menasse in der Le Monde diplomatique einen bemerkenswerten Aufsatz. Während der Tenor in Politik und Öffentlichkeit mit der Selbstgewissheit vermeintlich gesicherten Wissens dahin geht, dass die Migranten – sofern sie denn zu bleiben beabsichtigen – sich rasch den kulturellen Werten und Gepflogenheiten der Mehrheitsgesellschaft anzupassen hätten, schlugen die Autoren mit Blick auf die jüngere Migrationsgeschichte in Europa einen Perspektivwechsel vor: »Was haben europäische Migranten gemacht, die während der Hungersnöte und politischen Krisen im 18. und 19. Jahrhundert in Massen in die Neue Welt ausgewandert sind, Iren, Italiener, Balten, Deutsche …? Sie haben dort ihre Städte neu gebaut.«[1]

Statt schnellstmöglicher kultureller und räumlicher Assimilation das Wort zu reden, forderte das Autorenduo im Rekurs auf die Geschichte gewissermaßen das Gegenteil: ein notwendiges Maß an Segregation, ja die gezielte Förderung von Parallelgesellschaften. In einem späteren Interview im Deutschlandfunk bekräftigte Guérot diese Position und verwies dabei auf die erfolgreiche Integrationsgeschichte der Hugenotten, die in Deutschland mit Celle und Bayreuth eigene Städte nachgebaut hätten.[2]

Insbesondere auch angesichts der aktuellen Herausforderung nicht zuletzt der sogenannten westlichen Demokratien Europas und Nordamerikas durch den islamischen Fundamentalismus und daran anknüpfende Diskussionen über die generelle Vereinbarkeit religiösen Eiferertums mit den Prämissen von Demokratien ist dieses Beispiel gelungener Hugenottenintegration interessant. Schließlich handelte es sich bei den Hugenotten um eine tiefgläubige protestantische Zuwanderergruppe – darin den katholischen Ruhrpolen ähnlich, deren Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zwischen dem letzten Drittel des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts ebenfalls als Erfolg gilt. Insofern liegt nahe zu fragen, auf welche Weise sich in diesen Fällen die Verschmelzung mit der Aufnahmegesellschaft vollzog […]

Anmerkungen:

[1] Ulrike Guérot u. Robert Menasse, Lust auf eine gemeinsame Welt. Ein futuristischer Entwurf für europäische Grenzenlosigkeit, in: Le Monde diplomatique, 11.02.2016.

[2] Vgl. Ulrike Guérot im Gespräch mit Peter Kapern, in: Deutschlandfunk, 25.02.2016, URL: http://www.deutschlandfunk.de/integration-lassen-wir-fluechtlingeeigene-staedte-nachbauen.694.de.html?dram:article_id=346590 [eingesehen am 03.03.2017].

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.&1nbsp;-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017