Zeitzünder Die frühe Sozialdemokratie und die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«

Von Thomas Welskopp

»Putting out fire with gasoline …«, hat David Bowie 1982 gesungen – und damit bestimmt nicht die semantischen Effekte im Diskurs der frühen deutschen Arbeiterbewegung gemeint, die sich metaphorisch exakt so beschreiben lassen: als Verarbeitungsmodus zeitgenössischer Gesellschaftsdiagnose aus z. T. imaginierten Vergangenheitserfahrungen, der zugleich ein explosives Zündpotenzial für Gegenwart und Zukunft in sich barg. Es wäre nicht verfehlt zu sagen, dass die frühe Arbeiterbewegung in den deutschen Territorien, die sich 1871 zum (kleindeutschen) Deutschen Reich vereinigen sollten, zu einer Verarbeitungsmaschine des »Ungleichzeitigen« in die Zeitgenossenschaft einer zukunftszugewandten Gestaltungsphantasie aufstieg, welche eine alternative Erzählung der herangebrochenen Moderne formulierte, deren kapitalistische Gegenwart zunehmendes Chaos und eskalierende Widersprüche zur liberalen ideologischen Hegemonie mehr vegetativ als reflexiv hervorzubringen schien.[1] Bürgerliche und mehr noch konservative Gegner drängte es, in solchen Bemühungen der sprachlichen Bewältigung und Gestaltung gerade wegen des darin mitschwingenden Anspruchs auf politische Selbstermächtigung eine durchgreifende Bedrohung, eine »Heimlichkeit der Unheimlichkeit« zu erblicken.

Ernst Bloch, von dem der Begriff stammt, den er im Grunde von Hegel ableitete, hat die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« zunächst in seiner Analyse des Nationalsozialismus geschärft als einen gewissermaßen aus den historischen Tiefen zeitlich vorausgreifenden Bremsschuh des dialektischen Fortschritts. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Sonderheft-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2016