If you’re a liberal, how come you’re so poor? Liberalismus und soziale Gerechtigkeit

Von Elif Özmen

Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst des Liberalismus! Gegensätzliche Mächte haben sich zu einer Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet; denn als Feindbild taugt es sowohl für erklärtermaßen »rechte« wie auch »linke« politische Bewegungen. Während erstere ihr vermeintlich kulturrevolutionäres Potenzial gegenüber der egoistischen, wertevergessenen und dekadenten liberalen Lebensform beschwören, nehmen letztere die Ausbeutungs- und Verelendungsmechanismen der liberalen Wirtschafts- und Sozialordnung in den Blick. Denn, so der Gemeinplatz, wer über den Liberalismus reden will, dürfe über den Kapitalismus nicht schweigen. Freiheitliche Gesellschaft und freie Marktwirtschaft hängen demzufolge zusammen und bringen unweigerlich ungerechte soziale Verhältnisse hervor. Während die erste These systematischer Natur ist – sie betrifft die »innere Logik« des Liberalismus bzw. des liberalen Freiheitsverständnisses –, handelt es sich bei der zweiten um eine empirische Behauptung, die nichtsdestoweniger auf einem normativen Konzept von sozialer Ungerechtigkeit beruht. Im Folgenden werde ich mich auf diese systematischen und normativen Aspekte des Liberalismus beziehen, um dem Gemeinplatz eine angemessenere Darstellung und der Feind- und Gespensterbeschwörung einen würdigeren Gegner entgegenzustellen. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2016