»Man interpretiert die Welt, um die Welt dann der Interpretation ähnlich zu machen« Zur Utopie des Marktes

Interview mit Joseph Vogl

Die Wirtschaftswissenschaften nehmen immer wieder Anleihen bei den Naturwissenschaften und gerieren sich als exakte Disziplin, die natürliche Gesetzmäßigkeiten erfasse. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und in Anbetracht der Vielzahl ihrer Irrtümer aber scheint den Erkenntnissen der Lehrstuhl-Ökonomen eher ein unerschütterlicher Glaube denn gesunde Skepsis zugrunde zu liegen. Ist die Wirtschaftswissenschaft also eine Schwester der Theologie? Meint das der von Ihnen geprägte Begriff der »Oikodizee«?

Nicht alle Bereiche der Wirtschaftswissenschaft sind von einer »theologischen Tendenz« betroffen. Es gibt verschiedene Sparten, die ich dagegenhalten würde. Man kann hier einen radikalen Keynesianismus nennen, natürlich würde auch der Marxismus nicht in dieses Raster fallen. Allerdings trifft diese Tendenz auf viele Theorien zur Effi zienz der Märkte zu, die in den letzten dreißig Jahren dominant geworden sind. Die hierin wirksamen theologischen Aspekte lassen sich zurückdatieren: Seit dem 18. Jahrhundert ist ökonomisches Denken wie kein anderes Denken, das sich mit Sozialphänomenen beschäftigt, darauf ausgerichtet, soziale Ordnungsvorstellungen aus Marktprozessen abzuleiten. Im 18. Jahrhundert war es im Wesentlichen die Tauschrelation, die über Angebot und Nachfrage Gleichgewichte, aber dann eben auch so etwas wie distributive Gerechtigkeit herstellen sollte. Im 19. Jahrhundert tritt an diese Stelle mehr und mehr der Begriff des Wettbewerbs. Das heißt im 20. Jahrhundert dann auch Wettbewerb um Informationen. Die Ökonomie, die zunächst so etwas wie eine göttliche Weltregierung meinte, ist zu einer Maschine zur Produktion innerweltlicher Vorsehung geworden.

Zwei weitere Dinge sind hierbei interessant. […]

Zum Anschauen findet sich das Interview auch als Podcast auf dem Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung (www.demokratie-goettingen.de/ blog). Das Interview führte David Bebnowski.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2012| © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2012