Wenn das Zeremoniell zu Politik wird Honeckers Besuch in der Bundesrepublik im September 1987

Von Jürgen Hartmann

Offizielle Besuche von Staatsoberhäuptern oder Regierungschefs sind klassische Instrumente der Diplomatie. Sie dokumentieren den aktuellen Stand der Beziehungen zwischen zwei Staaten und geben Anstöße zum weiteren Ausbau. Um solche Besuche möglichst konfliktfrei zu halten, werden sie einem komplexen Regelwerk unterworfen, dem Zeremoniell, bei Besuchen meist Protokoll genannt. Die Grundsätze des Besuchszeremoniells, allen voran die Prinzipien der Souveränität und der Gleichbehandlung, werden weltweit respektiert. Sie zu verletzen gilt als unfreundlicher Akt, der die Beziehungen belastet. Sämtliche technischen Details eines konkreten Besuches hingegen, wie Zeitplan, Größe der Delegation, Zahl der zu überreichenden Orden, Dresscodes etc., werden von Fall zu Fall ausgehandelt.

Ganz anders war das bei dem Besuch des Staats- und Parteichefs der DDR, Erich Honecker, in der Bundesrepublik vom 7. bis 11. September 1987. Die Formen und Gesten des Zeremoniells wurden zu Inhalten, ja zur Hauptsache. Jede mit dem Besuch verbundene zeremonielle Handlung wurde sorgfältig – und meistens wohl zum ersten Mal – auf ihren symbolischen Gehalt hin geprüft und auf höchster politischer Ebene entschieden. Selbst das verhinderte freilich konträre Interpretationen im Nachhinein nicht.

Gleichwohl: Bei keinem offiziellen Besuch seit Bestehen der Bundesrepublik spielte das Zeremoniell eine so zentrale Rolle. Nie zuvor waren die politischen Gegensätze von Gast und Gastgeber so offenkundig und heftig, nie zuvor wurde das Protokoll zur Sichtbarmachung dieser Gegensätze so gezielt eingesetzt wie gerade bei diesem Besuch. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2017