Kein Pathos, nirgends! Über die Leidenschaftslosigkeit der politischen Eliten

Von Robert Lorenz  /  Matthias Micus

Frühere Politikerkohorten zeichneten sich – frei nach Max Weber – nicht selten wohl durch Verantwortungsgefühl, immer wieder einmal durch Augenmaß, vor allem aber durch Leidenschaft aus. Ein Merkmal dieser Leidenschaft war die verbreitete totale Hingabe an die Politik oder, negativ, die gängige Versessenheit auf den Verbleib an der politischen Macht. Rücktritte galten allenfalls als Ultima Ratio und wurden selbst dann noch hinausgezögert, wenn Skandale und körperliche Gebrechen eine Demission nahelegten. Jürgen Leinemann hat den damaligen »Polit-Junkies« und dem mit der Politiksucht korrespondierenden Politikverständnis vor knapp zehn Jahren mit seinem Buch »Höhenrausch« ein literarisches Denkmal gesetzt.[1] Hierin beschreibt er den Rausch der Droge »Politik« und den völlig irrationalen Raubbau, den diese Politiker an ihren Körpern betrieben – Infarkte, Zusammenbrüche, verschleppte Krankheiten inklusive. Beispiele sind, in beliebig erweiterbarer chronologischer Anordnung: Friedrich Eberts Verschleppung einer Blinddarmentzündung 1924/25, Willy Brandts geleugneter Herzinfarkt 1978, Helmut Kohls verheimlichte Prostataoperation 1989, Hans-Dietrich Genschers unbehandelte Infektion mit der Folge eines Herzinfarktes 1989, der Umgang von Heide Simonis mit ihrer Brustkrebserkrankung 2002 und Peter Strucks als Kreislaufprobleme verharmloster Schlaganfall 2004.

Krankheiten, bilanziert Thymian Bussemer, wurden verschwiegen, heruntergespielt, ignoriert.[2] Weder im Selbstbild noch in den übervollen Terminkalendern von Spitzenpolitikern war Platz für Schwächephasen […]

Anmerkungen:

[1] Jürgen Leinemann, Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, München 2004.

[2] Vgl. Thymian Bussemer, Die erregte Republik. Wutbürger und die Macht der Medien, Stuttgart 2011, S. 198 f.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2013 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2013