Zäsurdenkenszäsur Der Verlust geschichtsphilosophischer Kompasse nach dem Boom
Zäsuren oder Schnitte in der Zeit spielen im historischen Denken bekanntlich eine prominente Rolle. Sie bestimmen die Praxis der Periodisierung, insofern mit ihnen Epochen, Phasen, mal größere, mal kleinere Zeitabschnitte aus dem Gesamtkörper historischer Zeit herausgelöst und gleich medizinischen Präparaten konserviert werden. Haben sie für die eine oder andere Generation historischer Pathologen als Anschauungsobjekt ausgedient, wandern sie dann ihrerseits aus dem Anatomiesaal in die museale Präparatensammlung ab.
In seinem letzten, 2014 erschienenen, Buch machte Jacques Le Goff auf die lange Vorgeschichte dieses Bedürfnisses nach dem Schneiden der Zeit aufmerksam, und auf den Wandel, den diese Praxis durchlief.[1] Trotz Streitigkeiten, ob man das Skalpell lieber ein wenig weiter unten respektive oben anlegen solle, haben die großen oder groben Schnitte – Antike, Mittelalter und Neuzeit – seit der »Sattelzeit« festen Bestand.
Mit der Etablierung des modernen Zeit- und Geschichtsdenkens zwischen etwa 1750 und 1850 wurde der Bruch mit der Vergangenheit geradezu eine Obsession der Zeitgenossen. Und mit diesem gesteigerten Epochenbewusstsein wuchs auch die Bedeutung der Suche nach Kontinuitäten und Einschnitten seitens der Historiker. Jahrhunderte und Dekaden stellten und stellen besonders beliebte Ausschnitte dar, die dann gedehnt oder gekürzt werden. […]
Anmerkungen
[1] Siehe Jacques Le Goff, Geschichte ohne Epochen? Ein Essay, Darmstadt 2016. Siehe hierzu insbesondere auch Krzysztof Pomian, L’ordre du temps, Paris 1984.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018