Zwischen Öffnung und Abschottung Die evangelikale Bewegung

Von Jens Gmeiner

Ein Gespenst geht um. Die Rede ist von den Evangelikalen, die nicht selten mit verstockten, reaktionären und konservativen protestantischen Christen gleichgesetzt werden. Häufig werden Evangelikale als protestantische Fundamentalisten dargestellt, die fetischartig die Bibel zitieren, wenn sie gegen Modernismus und Liberalismus in den Kampf ziehen. Diese mitunter sehr verzerrte und einseitige Konnotation einer unglaublich schwer zu fassenden erwecklichen Strömung innerhalb des Protestantismus soll hier nicht reproduziert werden. Die evangelikale Bewegung ist weder konfessionell zu fassen, noch macht sie an nationalen Grenzen halt; weder gibt es eine einheitliche Glaubensgrundlage noch ein geistliches Oberhaupt für die weltweit agierenden Evangelikalen. Zwar wurden Evangelikale in ihrer Geschichte häufig ausgegrenzt oder grenzten sich bewusst selbst ab, aber sie waren auch führende Repräsentanten der Mission und schlugen über Konfessionen hinweg Brücken. Kurz: Evangelikale sind transnationale und transkonfessionelle Grenzgänger, die das Evangelium in alle Welt tragen wollen. Zugleich errichten sie aber organisatorische und theologische Parallelstrukturen, weil sie häufig streng unterscheiden zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, zwischen verbindlichem und unverbindlichem Christsein. Jedenfalls: Die Grenzen zwischen Abschottung und Öffnung sind bei den Evangelikalen nicht einfach zu ziehen.

Eigentlich gibt es also die Evangelikalen nicht. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2012| © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2012