Gegenkulturen und die Krise des Wir-Sinns Worin sich »PEGIDA« und die »68er« überschneiden und unterscheiden

Von Michael Corsten

Gegenkulturen stehen in einem Verhältnis zu jener Kultur, von der sie sich abzusetzen behaupten. Eine solche relationale Perspektive impliziert, dass Kulturen nicht von einem absoluten Norm- oder Wertpunkt aus bestimmt werden können, sondern immer nur aus dem Wechsel- und Zusammenspiel gleichzeitig existierender und aufeinander einwirkender kultureller Lebensformen.[1] Insofern lässt sich auch das Verhältnis von Konformität und Nonkonformität – hier verstanden als Abweichung – nicht anhand von allgemeingültigen oder gar konstanten Norm- oder Wertmaßstäben herleiten.

Kulturen mithin bestehen aus einer bestimmten Menge an Lebensformen, die im Rahmen einer Gesellschaft möglich sind und einander entgegenstehen können. Aus ihren Wechselwirkungen ergeben sich dann Verhältnisse von vorherrschenden und davon mehr oder weniger abweichenden Kulturformen. Diese für moderne, westlich liberal geprägte Gesellschaften wie die Bundesrepublik Deutschland durchaus typische Auffassung von Kultur hat sich womöglich durch die aktuellen Erscheinungsformen des Rechtspopulismus gewandelt.

Ich möchte mich daher konkret mit drei Gegenkulturen beschäftigen, die sich in der Gegenwartsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ausmachen lassen. Dabei werde ich die als Gegenkulturen bezeichneten Phänomene auf eine weitere Kategorie beziehen: den Wir-Sinn, der mit einer bestimmten gegenkulturellen Bewegung oder Strömung einhergeht. Mit diesem soziologisch-zeitgeschichtlichen Vergleich sind drei Thesen
verbunden […]

Anmerkungen:

[1] Siehe Martin Seel, Ethik und Lebensformen, in: Micha Brumlik u. Hauke Brunkhorst (Hg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1993, S. 244–259.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2016 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2016