Von Klößen, einem Elefantengesicht und Pornografie Die unglaubliche Welt des Dieudonné

Von Teresa Nentwig

Grenzüberschreitungen

Bei seinen Shows werden die Zuschauer immer wieder Zeugen seines Juden­hasses. Im Dezember 2008 beispielsweise, während seines Auftritts in der großen Pariser Veranstaltungshalle „Zénith“, huldigte Dieudonné dem bereits mehrfach verurteilten Negationisten Robert Faurisson: Er holte diesen auf die Bühne und umarmte ihn, während ein Mann, der als deportierter Jude verkleidet war, Faurisson den „Preis für Unbeirrbarkeit und Unverfrorenheit« verlieh. Das Publikum – darunter Jean-Marie Le Pen und der führende Theo­retiker der „Neuen Rechten“ in Frankreich, Alain de Benoist – reagierte auf diese Provokation mit Beifallsstürmen. Fünf Jahre später, im Dezember 2013, drohte Dieudonné dem jüdischen Radiomoderatoren Patrick Cohen von der Bühne seines Pariser Theaters „La Main d’Or“ herab mit folgenden Worten: „Wenn der Wind dreht, bin ich nicht sicher, ob er Zeit hat, seine Koffer zu packen (…). Wenn ich ihn, Patrick Cohen, reden höre, sage ich mir, verstehst du, die Gaskammern, schade …“[17] Anlass für diesen Ausfall war die Wei­gerung Cohens, Dieudonné in seine Sendung einzuladen. Bereits an diesen beiden Beispielen wird deutlich: Dieudonnés Erfolgsrezept „ist der ständige Tabubruch. Seine Geschäftsgrundlage bildet die permanente Transgression aller Regeln des Anstands und des guten Geschmacks.“[18]

Doch es ist nicht nur sein Antisemitismus, den er auf der Bühne zur Schau stellt. Auch die Systemkritik ist elementarer Bestandteil seiner Shows. Mehr noch: Dieudonné hat mit der Quenelle ein Symbol erfunden, um seinen Pro­test gegen das Establishment zum Ausdruck zu bringen. Eigentlich ist die Quenelle eine Spezialität aus Lyon. Es handelt sich um einen länglichen Kloß aus Fisch oder Fleisch. Zugleich ist Quenelle aber auch eine Metapher für den ausgestreckten Zeigefinger. Dieudonné will die Quenelle „dem System […] in den Hintern stecken“, wie er Ende 2013 in einem Interview sagte.[19] Erst­mals führte Dieudonné die Quenelle im Jahr 2005 aus. Seitdem entwickelte sie sich mehr und mehr zu einem Erkennungszeichen, mit dem sich seine Anhänger grüßen. Ja: In den sozialen Netzwerken ist die Quenelle mittler­weile ein Massenphänomen. Ob Soldaten vor der Synagoge Beth David in Paris oder Schüler vor einem Bild Anne Franks bei der Wanderausstellung „Anne Frank, eine Geschichte von heute“ – im Internet sind unzählige Fotos von Menschen zu sehen, die eine Quenelle machen. Viele von ihnen haben vermutlich kein Bewusstsein für die Tragweite dieser Geste.

Denn Wissenschaftler sind sich einig: Bei der Quenelle handelt es sich nicht lediglich um einen Akt gegen das System, sondern ganz klar und ge­rade auch um eine antisemitische Geste. Der Soziologe Michel Wieviorka etwa bezeichnete die Quenelle als „verschwommene Synthese des Nazigrußes und des Stinkefingers, des Judenhasses und der Ablehnung des Systems“[20]. Auch bekannte Rechtsextreme machten schon die Quenelle: Dieudonnés Kompa­gnon Alain Soral etwa, Vordenker der extremen Rechten, zeigte den Quenel­leQuenelle nach einer Plenarsitzung in einem Straßburger Restaurant aus.

Stammgast im Gerichtssaal

Für seine Äußerungen und „Sketche“ wurde Dieudonné bereits mehrfach verurteilt. Zunächst verlor er keinen Prozess. Das lag daran, dass die Richter äußerste Vorsicht walten ließen: Sie hoben immer wieder das Recht auf Mei­nungsfreiheit hervor. In den letzten Jahren jedoch veränderte sich die Recht­sprechung. Im Herbst 2009 beispielsweise stand Dieudonné vor Gericht, weil er den Holocaust-Leugner Faurisson auf die Bühne geholt hatte. Er gestand zwar seine Absicht, „zu provozieren und zu schockieren“. Zugleich aber hob Dieudonné die künstlerische Freiheit hervor und versicherte, dass seine Provo­kationen für die Journalisten bestimmt gewesen seien. „Das war eine Liveshow, ein humoristisches Werk. Es besteht ein Spiel mit den Medien; ich habe ihnen ein humoristisches Attentat auf meine Art abgeliefert. […] Ihre Hysterie, über­all Antisemitismus zu sehen, erscheint mir verdächtig und obszön. […] Ich bin das Barometer für die Redefreiheit.“[21] Die Richter zeigten jedoch keine Gnade – sie verurteilten Dieudonné wegen „öffentlicher Beleidigung« von Personen jü­discher Herkunft oder jüdischen Glaubens zu einer Geldstrafe von 10.000 €.

Dieudonné, der überzeugt ist, dass sich die Justiz „in den Händen der Ju­den“[22] befinde, legte gegen das Urteil Berufung ein. Anfang Februar 2011, als er deswegen erneut vor Gericht erscheinen musste, sagte er: „Es war ein exzellenter Abend. Es war sehr lustig. Die Leute haben gelacht. […] Es ist das erste Mal, dass sich ein Künstler vor dem Berufungsgericht befindet, um zu fragen: ‚Habe ich das Recht, mein Publikum zum Lachen zu bringen?‘“[23] Hier wird erneut deutlich, dass sich Dieudonné hinter dem Recht auf Humor und der Meinungsfreiheit verschanzte. Mit dieser Haltung hatte er allerdings kein Glück: Das Gericht bestätigte die Geldstrafe von 10.000 €.

Insgesamt wurde Dieudonné bisher zu ca. 65.000 € Strafe verurteilt. Er begann jedoch erst im Frühjahr 2014, diese Summe abzubezahlen. Zuvor hatte er stets behauptet, kein Geld zu haben. Doch das stellte sich als falsch heraus, denn Ende Januar 2014 wurden bei der Durchsuchung seines Privat­hauses ungefähr 650.000 € und 15.000 $ in bar beschlagnahmt. Die Razzia geschah im Rahmen der Voruntersuchung gegen Dieudonné wegen „betrü­gerischer Zahlungsunfähigkeit“, „Geldwäsche“ und „Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen“.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2-2014 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2014