Göttin der Demokratie Blickpunkt China

Von Helwig Schmidt-Glintzer

Im Frühjahr 1989 richtete sich die Aufmerksamkeit der Welt auf den Tian’anmen-Platz in Peking und die dort stehende »Göttin der Demokratie«. Mit dieser Figur wollten studentische Aktivisten die von der Kommunistischen Partei Chinas kontrollierte Staatsmacht weniger herausfordern, als vielmehr – insbesondere auch angesichts einer hohen Inflationsrate – zu einer neuen Politik auffordern. Als dann nach wochenlangen Demonstrationen in der Nacht zum 4. Juni Panzer in das Zentrum Pekings rollten und alle Proteste – auch die inzwischen in mehreren anderen Großstädten entflammten Unruhen – beendeten, legte sich ein Mehltau über China.

Mehr noch als die blutige Niederschlagung sollte die offizielle Rhetorik von der Gesetzwidrigkeit des Studentenprotestes Folgen haben – eine Argumentation, bei welcher der Kommunistischen Partei das Agieren mancher studentischer Anführer der Proteste half, insbesondere die Publizitätssucht und das doppelbödige Verhalten einiger ihrer Repräsentanten. Die Machthaber konnten infolgedessen die ganze Bewegung als einen »Sturm im Wasserglas«, einen fengbo, abtun. Diesen zu beenden, sei allein schon deswegen geboten gewesen, um den mit dem Namen Deng Xiaopings verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung nicht zu gefährden.

In jenen Junitagen nahm die ganze Welt Anteil an den Ereignissen in China. In München bildete am 22. Juni unter dunklem Nachthimmel zu Füßen der Bavaria eine Solidaritätskundgebung mit Fackeln die leuchtenden Konturen des chinesischen Begriffes für »Menschenrechte«: renquan bzw. 人权. In China selbst aber sollten diese Ereignisse nicht erinnert werden. Mit dem Massaker vom Tian’anmen schien jede Hoffnung auf ein lebendiges neues China und eine stärkere, sich jenseits der Parteivorgaben organisierende zivilgesellschaftliche Partizipation gestorben. […]

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019