1918 bis 2018 Zwiespältiges Gedenken an Frieden, Nachkrieg und Revolution

Von Alexander Gallus

Es gehört zu den bekannten Merksätzen, dass sich Geschichte nicht wiederhole – zumindest nicht eins zu eins. Und doch dient sie regelmäßig als Maßstab, der an die Gegenwart angelegt wird. Je nach dem Grad der Übereinstimmung mag das historische Szenario dann als Menetekel oder als Beruhigungsformel dienen. »Bonn ist nicht Weimar«, so der Titel eines Buches des Schweizer Publizisten Fritz René Allemann aus dem Jahr 1956, ist ein berühmtes Beispiel für beide Interpretationslinien – abhängig davon, ob als Ist- oder als Soll-Zustand vorgebracht.

In der frühen Bundesrepublik diente die Weimarer Republik vor allem als mahnende Erinnerung an eine instabile, defekte, schließlich gescheiterte Demokratie, der man nicht nacheifern dürfe. Die Weimarer Demokratie wurde ganz überwiegend von 1933 rückwärts entschlüsselt und erschien so als ein zum Misslingen verdammtes Mängelwesen. Über mehrere Jahrzehnte hinweg war die bundesdeutsche politische Kultur von einem regelrechten »Weimar-Komplex« geprägt, der sich allerdings zusehends verflüchtigte, je mehr sich die zweite deutsche Demokratie von ihrem Provisoriumscharakter verabschiedete.[1]

Weimar als Argument in zeitgenössischen Debatten verlor an Relevanz. Weder die Beunruhigungsformel des Ähnlich-Seins noch das »Stereotyp der Selbstberuhigung«2 des Anders-Seins, das der bundesrepublikanischen Normalität die Weimarer Pathologie als Spiegel entgegenhielt, spielte in der reifer gewordenen Bundesrepublik eine große Rolle. Einiges deutete darauf hin, dass Weimar in das Reich der Geschichte zurückgesunken war und als geschichtspolitisches Vehikel nur noch selten Verwendung fand. [...]

Anmerkungen

[1] Siehe Sebastian Ullrich, Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959, Göttingen 2009; siehe auch Christoph Gusy (Hg.), Weimars lange Schatten – »Weimar « als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2018 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018