»Verzeihen Sie meinen Furor« Briefwechsel zweier »streitbarer Demokraten« fünfzig Jahre nach dem Radikalenerlass

Von Eckhard Jesse  /  Claus Leggewie

Lieber Eckhard Jesse,
warum soll eine Demokratie, die in der Nachfolge eines totalitären und genozidalen Regimes entstanden ist und sich gegen Rückschläge und neuerliche Bedrohungen wappnen muss, erklärte Feinde der demokratischen Lebens- und Herrschaftsform gewähren lassen? Es liegt nahe, der Demokratie einen dicken Abwehrgürtel anzulegen, der Bedrohungen ringsum einhegt, sie also so wehrhaft zu machen, dass sie jeder Attacke zuvorkommen und Angriffe kontern kann. [...]

Lieber Claus Leggewie,
wenn Sie mir auch mit Blick auf »übertriebene Wertungen« zustimmen (und lediglich in diesem Punkt!), so fällt diese Ihre Charakterisierung für mich doch reichlich »untertrieben« aus. Wer wie der Schriftsteller Alfred Andersch die staatlichen Schutzmaßnahmen eines demokratischen Staates in einen Zusammenhang mit den Gaskammern des Dritten Reiches rückt, argumentiert nicht »übertrieben«, sondern verwirrt, milde formuliert. Urteilskraft fehlte (und fehlt weiterhin) beim Bewerten der seinerzeitigen Prävention. [...]

Seite ausdrucken

Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022