Überraschend Abwehrbereit Die politische Dimension des des ukrainischen Widerstandskampfes

Von André Härtel

Lange bevor Russland die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres überfiel, wurde über eine mögliche weitere Eskalation des zwischen beiden Ländern seit 2014 bestehenden Konflikts spekuliert. Für den Fall einer Invasion aus mehreren Richtungen, wie sie Russland seit dem Truppenaufmarsch im Frühjahr 2021 andeutete, sahen westliche Militärexpert:innen eine rasche Niederlage der ukrainischen Armee voraus. Wesentlich für diese Einschätzung waren die kampflose Aufgabe der Krim durch die Ukrainer im Frühjahr 2014 und die enormen Probleme, auf die die ukrainische Armee bei der anschließenden Verteidigung der Ostukraine immer dann stieß, wenn Russland direkt eigene Truppe entsendete. Aber auch nicht-militärische Bereiche waren dafür verantwortlich, dass man dem Land für einen erneuten Angriffsfall wenig Resilienz zusprach. So galt die Ukraine als gespaltener, wenn nicht sogar »gescheiterter Staat«, wo schwache zentralstaatliche Institutionen starken regionalen Netzwerken gegenüberstanden, Oligarchen den politischen Raum beherrschten und die Korruption selbst nach jahrelangen Reformbemühungen noch weit verbreitet war. Was erklärt dann die Widerstandsfähigkeit der Ukrainer:innen, ihres Staates und politischen Systems im nun über ein halbes Jahr andauernden, »totalen«[1] Krieg mit Russland? [...]

[1] Die Bezeichnung verwendete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Interview mit der Zeit, 14.06.2022, tiny.one/indes221h12.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022