Prolog Heft 1-2-2022

Von Frank Decker

»Warum soll ich diese Zeitschrift lesen?« Das fragte mich ein sehr geschätzter Kollege aus Berlin, als ich ihm von meinen Plänen berichtete, INDES von Göttingen nach Bonn zu holen und unter meiner Herausgeberschaft neu an den Start zu bringen. Gibt es nicht schon genug wissenschaftliche Zeitschriften – auch solche, die über den Tellerrand des eigenen Faches hinausblicken und/oder sich an der Schnittstelle zur Publizistik bewegen? Als Franz Walter INDES 2011 ins Leben rief, ging es ihm nicht nur darum, für das kurz zuvor gegründete Göttinger Institut für Demokratieforschung eine Plattform zu schaffen. Die Zeitschrift setzte sich auch das Ziel, die schon damals weit vorangeschrittene methodische und thematische Verengung der Politikwissenschaft zugunsten eines breiteren, historisch fundierten und zugleich interdisziplinären Ansatzes zu überwinden, sich vom Mainstream also ganz bewusst abzusetzen.

An den Gründen dafür hat sich auch nach zehn Jahren nichts Nennenswertes verändert, im Gegenteil: Die Entwicklung der deutschen Politikwissenschaft stimmt bedenklich. Die Einwerbung von Drittmitteln und die Veröffentlichung begutachteter Aufsätze – überwiegend in englischsprachigen Journals – sind immer mehr zum Goldstandard vermeintlicher wissenschaftlicher Qualität avanciert, der über die Karriereperspektiven des »Nachwuchses« entscheidet. Die damit einhergehende Verarmung lässt sich zum Beispiel am Wegbrechen von Länderexpertisen ablesen. Wer sich als Journalist über die Politik und politischen Systeme anderer Staaten kundig machen will, wird sich heute eher an eine Beratungsinstitution wie die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik wenden als an ein politikwissenschaftliches Institut. Dass die Universitäten heute auf Transfer und Öffentlichkeitsarbeit durchaus gesteigerten Wert legen, schlägt sich in den Bewertungsmaßstäben wissenschaftlicher Qualität oder gar Exzellenz ebenso wenig nieder wie eine gute, anspruchsvolle Lehre.

INDES möchte diesem Trend entgegenwirken, indem sie einerseits – wie schon bisher – ein Forum für kommentierende und einordnende Beiträge bereithält, die anhand von Themenschwerpunkten aktuelle Debatten aufgreifen. Dies geschieht in unterschiedlichen Formaten wie Porträts, Interviews, Inspektionen, Kommentaren, Kontroversen und der klassischen Analyse. Andererseits sollen – um sich vom Mainstream dann doch auch nicht allzu weit abzusetzen – auch ausführlichere wissenschaftliche Abhandlungen in der Zeitschrift ihren Platz erhalten – innerhalb wie außerhalb des jeweiligen Schwerpunktes und nach einem standardmäßigen Begutachtungsverfahren. Angestrebt wird zugleich eine möglichst optimale Verknüpfung von Print- und Online-Format. Auf der Website sollen nicht nur die aktuelle Ausgabe präsentiert, vergangene Hefte im Archiv recherchierbar sowie Leseproben und ausgewählte Artikel zum Download bereitstehen, sondern auch kommende Schwerpunkte angekündigt und potenzielle Beiträger:innen angesprochen werden. Zudem sollen auf der Onlinepräsenz zusätzliche Beiträge außerhalb des regulären vierteljährlichen Erscheinungsrhythmus veröffentlicht werden, um auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Des Weiteren will INDES weiterhin nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch überzeugen: Die Texte jeder Ausgabe werden ergänzt durch eine zusammenhängende Bebilderung, die konzeptionell sowohl inhaltlich den Schwerpunkt untermalt als auch einen eigenen Beitrag bildet.

Der Bonner Neustart von INDES wäre ohne die Unterstützung und Mitwirkung vieler nicht möglich gewesen. Als erstes danke ich dem Spiritus Rector der Zeitschrift, Franz Walter. Sein Einverständnis und sein »Segen« waren für die Fortführung unabdingbar. Walters Nachfolger im Göttinger Institut Simon Franzmann möchte ich für die unkomplizierte Abwicklung des »Umzugs« nach Bonn danken. Großer Dank gebührt des Weiteren Daniel Sander vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der der Idee, die Zeitschrift unter neuer Herausgeberschaft fortzusetzen, von Beginn an wohlwollend gegenüberstand. Last but not least schulde ich meinen Dank dem Göttinger Team und einer Reihe von Bonner Kolleg:innen: zunächst Matthias Micus, der das Neustartprojekt maßgeblich mitgestaltet, ja mich zu dieser Idee überhaupt erst ermuntert hat, sodann Katharina Rahlf und Volker Best, die die Redaktion anführen und zusammen mit Luisa Rolfes, Tom Pflicke und Jacob Hirsch hochengagiert am jetzt vorliegenden ersten Bonner Heft gearbeitet haben, und schließlich allen Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirates. Dass sich in dem Kreis viele Bonner Kolleg:innen befinden, ist kein Zufall, versteht sich die Zeitschrift doch als Teil der von der Philosophischen Fakultät gewünschten und gezielt vorangetriebenen Verbundforschung. Ermöglicht wurde der Neustart durch eine vom Dekan Volker Kronenberg bereitgestellte Projektstelle. Dafür möchte ich ihm und seinem Dekanatskollegen Robert Meyer herzlich danken, genauso wie den weiteren Mittelgeber:innen inner- und außerhalb der Universität: Ulrich Schlie und Christine Krüger aus dem Kolleg:innenkreis, Astrid Kuhn von der Stiftung Wissenschaft und Demokratie und Jasmin Sandhaus von der Brost-Stiftung.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022