»Kinderverschickung« 1945-1990 Forschung im Spannungsfeld von Betroffeneninitiativen, Citizen Science und medialer Berichterstattung

Von Helge-Fabien Hertz

»Ich war 10 J. alt. Als ich unerlaubt Wasser beim Blumengiessen trank, mußte ich den ganzen Tag im Bett bleiben. Kleinkindern wurde Erbrochenes wieder eingelöffelt. Mein Beschwerdebrief an meine Eltern wurde zerrissen, ein erfundener Brief diktiert.«[1] Mit diesen Worten schilderte eine Betroffene das Erlebte in einem Verschickungsheim.

Kinder befinden sich seit einigen Jahren verstärkt im Blick von Politik und Gesellschaft: Die Themen Armutsbekämpfung und Chancengleichheit rangieren unter den (kinder-)politischen Topthemen. Seit der Jahrtausendwende geht es immer wieder auch um die Aufarbeitung von Unrecht, das Kindern zugefügt wurde. Dabei wird erkennbar, wie stark sich der Blick auf Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene verändert hat. 2001 rückte eine Ausstellung die Belastung von Kriegskindern 1940–1960 in den Fokus; 2008 wurde der Runde Tisch »Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren« von der Bundesregierung eingerichtet, um Gewalt in der Heimerziehung aufzuarbeiten; anschließend gerieten Kinder- und Jugendpsychiatrien, Internate, kirchliche Einrichtungen und Sportvereine in den Fokus. Seit einigen Jahren erfährt das Leid der sogenannten »Verschickungskinder«[2] große mediale und zunehmende politische Aufmerksamkeit.

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[1] Eintrag im Forum »Zeugnis ablegen« des Betroffenenvereins „Aufarbeitung und Erforschung von Kinder-Verschickungen, 18.04.2023, https://verschickungsheime.de/zeugnis-ablegen/.[2] Der Begriff »Verschickung« war der in der BRD gängige Begriff, wogegen in der DDR von Kinderheilkuren gesprochen wurde und auch im gegenwärtigen Diskurs so genannt wird.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-4-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024