Garanten der Demokratie Bürgerschaftliche Ressourcen demokratischer Resilienz

Von Raphael Kruse

Im Wettstreit der politischen Systemalternativen mit der Autokratie steht die Demokratie vor großen Bewährungsproben. Zum einen sehen sich alle demokratischen Herrschaftssysteme mit Herausforderungen konfrontiert, die inzwischen multiple Krisen oder »Polykrise«[1] genannt werden. Bis in die Gegenwart hinein haben die Gesundheitskrise im Zuge der Corona-Pandemie, die Krise der internationalen Sicherheitsarchitektur durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und nicht zuletzt das Damoklesschwert der Klimakrise den Problemlösungsdruck auf die Demokratien verdichtet und demokratische Systeme an Belastungsgrenzen herangeführt. Die Demokratien sehen sich also von neuartigen Krisen im Sinne von externen Bedrohungen herausgefordert.[2] Ob Demokratien krisentauglicher sind als ihre autokratischen Kontrahenten, ist nach wie vor eine offene Frage.

Zum anderen ist aber auch die Demokratie selbst – als politischer Herrschaftstypus – nach Jahrzehnten der Demokratie-Euphorie zunehmend unter Druck geraten. In jüngeren politikwissenschaftlichen Publikationen ist (wieder einmal) vermehrt von der »Krise der Demokratie« die Rede.[3] Damit können ganz unterschiedliche Phänomene verknüpft werden, die allesamt interne Krisenerscheinungen der Demokratie umfassen: von der Verringerung der Zahl der Demokratien in der Welt über das Absinken der Demokratiequalität in einigen Ländern bis hin zu einem Rückgang (oder der Radikalisierung) der politischen Partizipation und dem Schwinden der Demokratieunterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger. Die in der Forschung angeführten Diagnosen der letzten Jahre lauten entsprechend: »democratic recession«[4], »democratic regression«,[5] »democratic decline«[6], »democratic backsliding«[7] und »democratic deconsolidation«[8]. Bedenklich sind solche Diagnosen, weil inzwischen nicht nur »junge« Demokratien, sondern auch manche »ältere« und als gefestigt geltende Demokratien des Westens in Turbulenzen geraten.[9]

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[1] Adam Tooze, Kawumm!, in: Die Zeit, 15.07.2022, https://www.zeit.de/2022/29/krisenzeiten-krieg-ukraine-oel-polykrise.

[2] Vgl. Wolfgang Merkel, Neue Krisen. Wissenschaft, Moralisierung und die Demokratie im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 26–27/2021, S. 4–11, hier S. 4 ff.

[3] Vgl. ebd.; Wolfgang Merkel, Die Herausforderungen der Demokratie, in: ders. (Hg.), Demokratie und Krise. Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie, Wiesbaden 2015, S. 7–42; Adam Przeworski, Krisen der Demokratie, Berlin 2020; Hanspeter Kriesi, Is There a Crisis of Democracy in Europe?, in: Politische Vierteljahresschrift, H. 2/2020, S. 237–260.

[4] Larry Diamond, Facing Up to the Democratic Recession, in: Journal of Democracy, H. 1/2015, S. 141–155.

[5] Ders., Democratic regression in comparative perspective: scope, methods, and causes, in: Democratization, H. 1/2021, S. 22–42.

[6] Marc F. Plattner, Is Democracy in Decline?, in: Journal of Democracy, H. 1/2015, S. 5–10.

[7] Nancy Bermeo, On Democratic Backsliding, in: Journal of Democracy, H. 1/2016, S. 5–19.

[8] Roberto S. Foa & Yascha Mounk, The Danger of Deconsolidation: The Democratic Disconnect, in: Journal of Democracy, H. 3/2016, S. 5–17.

[9] Vgl. Diamond, Facing Up to the Democratic Recession, S. 152.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2023 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2023