Fällt der Aufbruch dem Umbruch zum Opfer? Vom Fortschleppen einer »Fortschrittskoalition«

Von Volker Best

Ohne Aufbruch ging es nicht im Bundestagswahlkampf 2021. War die Corona-Pandemie zunächst noch zur neuen Daseinsberechtigung der ihrer selbst längst überdrüssigen Großen Koalition geworden, hatte sie doch zunehmend die Versäumnisse des langjährigen kleinteilig-visionslosen Vor-sich-hin-Merkelns aufgedeckt, insbesondere beim Thema Digitalisierung. Auch die bereits 2019 von Freitagsjungdemonstrant:innen und einem blauhaarigen YouTuber massenwirksam angeprangerten und vom Virus medial kurzzeitig überdeckten Unterlassungen beim Klimaschutz wurden im Wahljahr erst durch ein Urteil aus Karlsruhe wieder auf die politische Agenda gesetzt und dann von Ahr und Erft flutartig an deren Spitze zurückgeschwemmt. Der Wunsch nach einer grundlegend anderen Politik in der Bevölkerung war so groß wie nie in den vergangenen dreißig Jahren.«[1] Selbst der Nachfolgekandidat der Kanzlerinnenpartei meinte nicht auf Aufbruchsmetaphorik verzichten zu können, auch wenn die Narrative einer ach so erfolgreichen 16-jährigen Ära und eines nunmehr notwendigen Modernisierungsjahrzehnts kaum in Einklang zu bringen waren. Entsprechend fiel, noch verstärkt durch Laschets Lachen im Flutgebiet und Söders Nörgeln im Hintergrund, auch das Wahlergebnis der Union aus. [...]

[1] Vgl. Stephan Lamby, Entscheidungstage. Hinter den Kulissen des Machtwechsels, München 2021, S. 373.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022