»Es geht um irrsinnig viel derzeit« Ein Gespräch über aufgeklärten Hedonismus und das gute Leben
INDES: „Hedonistische Askese“, so lautet der Titel Ihres Buches. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Roger Fornoff (RF): Der Titel ist bewusst widersprüchlich gewählt. Das ganze Themenfeld, das wir in unserem Buch[1] bearbeiten, steht in sehr widersprüchlichen Kontexten und paradoxen Konstellationen. Der Askese-Begriff ist nach Foucault als Selbstpraktik oder Existenzkunst zu verstehen. Der Schwerpunkt liegt somit nicht unbedingt auf Enthaltsamkeit und Verzicht. Sondern es geht um Techniken, mit deren Hilfe sich das Individuum selbst transformiert, über die es sich in ein bewusstes Verhältnis zu sich selbst setzt – und das heißt auch: zu seinen Lüsten und Genüssen, zu seinem Hedonismus. Es geht insofern bei der Askese zuallererst darum, sich nicht von den eigenen Lüsten versklaven zu lassen.
Der klassische Hedonismus sagt: Wir streben nach der maximalen Steigerung unserer Genüsse. Der Kapitalismus und Konsumismus, unser gesamtes Wirtschaftssystem, forcieren diese Tendenz, weil so Wachstum und Profit generiert werden. Unser Wirtschaftssystem ist auf Hedonismus gebaut. Wenn man aber ein Stück zurücktritt und die verbreiteten Genüsse ethisch und moralisch problematisiert, dann landet man bei asketischen Praktiken. Sie sind nicht nur als instrumentelle Praktiken zu sehen, mit denen man beispielsweise den Klimawandel verhindern will. Sondern sie generieren neue Formen von Lust und Genuss jenseits des kapitalistisch produzierten Hedonismus – Genussweisen, die ökologischer, moralischer und klimaverträglicher zu sein versprechen. Deswegen haben wir dieses in sich widersprüchlich erscheinende Begriffspaar gewählt.
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[1] Branka Schaller-Fornoff & Roger Fornoff (Hg.), Hedonistische Askese. Neuverhandlungen von Sinn und Konsum im 21. Jahrhundert, Hannover 2023.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 3-2023 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2023