Eine historische Ausnahme Die Wendezeit 1989–1992 im Rückblick
Das Ende der alten Ordnung
Am 17. Juni 2022, knapp vier Monate nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, verkündete Präsident Vladimir Putin auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg, dass er für sein Land eine »führende Rolle bei der Gestaltung der globalen Machtverhältnisse« beanspruche. Während der Westen sich noch immer wie eine Kolonialmacht des vergangenen Jahrhunderts verhalte, sei Russland »mächtig« und »modern«; und es sei offensichtlich, dass die »Regeln« einer »neuen Weltordnung« von »starken und souveränen Staaten« festgelegt werden müssten.[1] Bereits im Sommer 2019 hatte Putin die »liberale Ordnung« für »obsolet« erklärt und sein Außenminister, Sergei Lawrow, die Schaffung einer »post-westlichen Weltordnung« propagiert.[2]
Auch China sieht seit einigen Jahren den Zeitpunkt für eine Abrechnung mit dem Westen gekommen: Die »Unipolarität« – gemeint ist die amerikanische Hegemonialstellung seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 – müsse endlich gebrochen werden. Tatsächlich betreibt Xi Jinpings kommunistisches Regime eine Politik des Rollback, in deren Zuge der globale Einfluss des Westens seit Ende des Kalten Krieges zurückgedrängt werden soll. Gleichzeitig erhebt Xi für China den Anspruch, als eine der führenden Weltmächte respektiert zu werden. Es sei an der Zeit, so der chinesische Staatspräsident, dass die realen Machtverhältnisse, nämlich die der »Multipolarität«, endlich anerkannt würden.[3] [...]
[2] Vladimir Putin Says Liberalism Has »Become Obsolete«, in: Financial Times, 28.06.2019; Lizzie Dearden, Russia’s Foreign Minister Calls for »post-West World Order« in Speech to Global Leaders, in: The Independent, 18.02.2017.
[3] Vgl. Rush Doshi, The Long Game: China’s Grand Strategy to Displace American Order, Oxford/New York 2021.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2-2022 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2022