Ein fauler Kompromiss und starke Einschnitte in das Grundrecht Die Einschränkung des Asylrechts 1993
»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« – so lautete knapp und präzise der ursprüngliche Artikel 16, Absatz 2, Satz 2 des Grundgesetzes, mit dem die Mütter und Väter ein einklagbares Individualrecht auf Asyl in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen hatten. Er war eine Reaktion auf die beispielslosen Menschenrechtsverletzungen, die Entgrenzung der Gewalt und den präzedenzlosen Zivilisationsbruch durch die nationalsozialistische Diktatur. Fast auf den Tag genau 44 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes und der Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland am 26. Mai 1993 beschloss der Deutsche Bundestag durch die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP mit Zustimmung der SPD-Opposition jedoch eine erhebliche Einschränkung dieses Grundrechts. Vorausgegangen war ein starker Anstieg der Asylbewerber:innen von ca. 250.000 Menschen im Jahr 1991 auf ca. 440.000 Menschen im Folgejahr, sodass insbesondere die mit deren Unterbringungen beauftragten Kommunen eine Änderung des Asylrechts forderten.[1] Begleitet von einer starken Emotionalisierung der asylpolitischen Debatte in Presse, Rundfunk und Fernsehen brach sich der Unmut über die zunehmende Zuwanderung in einer Serie von rassistischer Gewalt Bahn. »Hoyerswerda« (1991), »Rostock-Lichtenhagen«, »Mölln« (1992) und »Solingen« (1993) wurden zu Chiffren für rechtsextreme Anschläge und schrieben sich in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik ein. Tatsächlich bildeten sie aber nur die traurigen Kulminationspunkte in einer Zeit der Pogromstimmung gegen Geflüchtete nach der deutschen Wiedervereinigung. Viele weitere Kommunen, Städte und Stadtteile wie etwa Mannheim-Schönau haben erinnerungspolitisch nicht denselben Bekanntheitsgrad erlangt, obwohl sich durch rassistische Ausschreitungen auch dort Fritz Bauers Diktum bewahrheitet hatte, »dass die Zivilisation eine dünne Decke ist, die sehr schnell abblättert.«[2] Unter dem Druck dieser Hass- und Gewaltwelle einigte sich eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag trotz starker Proteste aus der Zivilgesellschaft im Dezember 1992 auf eine Grundgesetzänderung und umfassende Ergänzungen von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Ziel war es, den Rechtsextremen durch eine Senkung der Asylzahlen das Wasser abzugraben; für Kritiker:innen stellte dieser sogenannte »Asylkompromiss« hingegen de facto die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl dar.
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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 1-2025 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2025