Das Gefängnis als Ort bürgerlich-weiblicher Emanzipation? Der Beruf der Gefängnisbeamtin zwischen Selbstbehauptung und Restriktion im Deutschen Kaiserreich
In diesem Beitrag wird aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive der Leitfrage nachgegangen, ob das Gefängnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein Ort der Emanzipation für bürgerliche Frauen gewesen ist.[1] Als die bürgerliche Frauenbewegung um 1900 deutlich an Fahrt aufnahm und sich zu einer starken gesellschaftlichen Kraft im Deutschen Kaiserreich entwickelte, avancierte insbesondere die sogenannte Frauenberufsfrage zu einem wichtigen Punkt auf der frauenbewegten Agenda; es ging darum, neue Berufsfelder für Frauen zugänglich zu machen. Hierbei rückte unter anderem das Gefängnis als Berufsort in den Aufmerksamkeitskreis der frauenbewegten Aktivistinnen. Frauen waren zwar seit geraumer Zeit in den Strafanstalten tätig, verrichteten dort als Aufseherinnen beziehungsweise Wärterinnen und Köchinnen ohne Ausbildung und Profession allerdings minder bezahlte Arbeiten, wohingegen die Stellen im gehobenen Anstaltsdienst einzig und allein Männern vorbehalten waren. Diese Berufsstrukturen und Zuständigkeitsbereiche versuchte die Frauenbewegung aufzubrechen: Es sollte der Beruf der Gefängnisbeamtin entstehen.
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[1] Dieser Beitrag stellt einen Auszug aus der im April 2023 an der Universität Göttingen verteidigten Dissertation von Mette Bartels dar, die im Frühjahr 2024 im Campus Verlag publiziert wird: Mette Bartels, Garten, Gefängnis, Fotoatelier. Emanzipationsbestrebungen der bürgerlichen Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich, Frankfurt a. M. 2024.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.4-2023 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024