Das aufgefächerte Parteiensystem Missliche Konsequenzen und Reformbedarfe

Von Eckhard Jesse

Wohl kaum ein anderer deutscher Politikwissenschaftler hat derart viele Abhandlungen über Parteien veröffentlicht wie Frank Decker[1], der 2023 für seine einschlägigen Forschungen mit dem Otto-Kirchheimer-Preis ausgezeichnet wurde. Der Verfasser dieses Beitrags hat beides getan: einerseits mit ihm publiziert[2], andererseits sich kritisch mit ihm auseinandergesetzt.[3] Und – ein Kuriosum am Rande – in einem gemeinsam veröffentlichen Text wurde die unterschiedliche Sichtweise (zur Koalitionsfähigkeit der Partei Die LINKE) verdeutlicht.[4]

Die folgenden Ausführungen berühren ein Themenfeld, das Frank Decker zuweilen ebenfalls beackert hat.[5] Bekanntlich steigern kleinere Parteien, deren Zahl zunimmt[6], bei Wahlen ihre Stimmenanteile. Welche Probleme birgt das für die Koalitionsbildung? Wie lässt sich Abhilfe schaffen? Sind die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 ein Menetekel für den Ausgang der Bundestagswahlen 2025? Wer ist »der Elefant im Raum«? Des Öfteren kommt die Position Frank Deckers zur Sprache, zumeist im positiven Sinne, zuweilen eher kritisch.

Der Wandel des deutschen Parteiensystems ist im historischen Vergleich beträchtlich. War das Parteiengefüge im Kaiserreich und in der Weimarer Republik durch Buntscheckigkeit geprägt, vollzog sich, bedingt durch die Parteienverbote 1933 und die Lizenzierungspraxis der Alliierten im Jahr 1945, ein Bruch. Nach der Bundestagswahl 1949 zeichnete sich in der Bundesrepublik Deutschland eine starke Parteikonzentration ab, die im Zuge der Wiedervereinigung nachließ, zunächst allmählich, später in höherem Maße. Der gravierende Vorteil des Parteiensystems bis in das erste Jahrzehnt des neuen Säkulums: Die Bürger wussten vor der Wahl mehr oder weniger sicher, wer mit wem koaliert: entweder die Union mit der FDP oder diese mit der SPD. An dem Befund änderte sich durch den Einzug der Grünen ins Bundesparlament ab 1983 zunächst nichts. Denn die neue Kraft stand allenfalls für eine Kooperation mit der SPD zur Verfügung. Mit dem Aufkommen der Grünen schien sich ein System aus zwei Blöcken herauszubilden. Der Wähler votierte nicht nur für eine Partei, sondern im Kern auch für eine Regierung.
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[1] Vgl. u.a. Frank Decker, Parteien und Parteiensystem in Deutschland, Stuttgart 2011; ders., Regieren im »Parteienbundesstaat«. Zur Architektur der deutschen Politik, Wiesbaden 2011; ders., Parteiendemokratie im Wandel, Baden-Baden 2018; ders. & Viola Neu (Hg.), Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden 2018.

[2] Vgl. u.a. Frank Decker & Eckhard Jesse (Hg.), Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013. Parteiensystem und Regierungsbildung im internationalen Vergleich, Baden-Baden 2013; dies., Wahlrechtsreform. Eine Agenda in zwölf Punkten, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 4/2020, S. 785–801.

[3] Vgl. u.a. Frank Decker, Ist die Fünf-Prozent-Klausel noch zeitgemäß? Verfassungsrechtliche und-politische Argumente für die Einführung einer Ersatzstimme bei Landtags- und Bundestagswahlen; Eckhard Jesse, Plädoyer für ein Einstimmensystem bei der Bundestagswahl, ergänzt um eine Ersatzstimme, jeweils in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, H. 2/2016, S. 460–471 bzw. H. 4/2016, S. 893–903; Frank Decker, Leiernde Wahlkampfschlager Rot-Grün-Rot ist ein Popanz, aber kein Grund für Ausschließeritis; Eckhard Jesse, Passt nicht? Passt doch? Passt vielleicht? SPD und Grüne lavieren in Sachen Rot-Grün-Rot – zu ihrem Schaden, jeweils in: Der Hauptstadtbrief, 4.09.2011 bzw. 11.09.2021.

[4] Vgl. Frank Decker & Eckhard Jesse, »Koalitionspolitik« vor und nach der Bundestagswahl 2013, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 48–49/2013, S. 47–54.

[5] Vgl. Frank Decker, Koalitionssignale – ein von der Koalitionstheorie zu Unrecht vernachlässigter Faktor?, in: Ders. & Jesse, Koalitionsdemokratie, S. 75–96.

[6] Vgl. Hendrik Träger, Klein- und Kleinstparteien bei der Bundestagswahl 2021: ein Mandat und Achtungserfolge trotz mancher »Stolpersteine«, in: Uwe Jun & Oskar Niedermayer (Hg.), Die Parteien nach der Bundestagswahl 2021. Neueste Entwicklungen des Parteienwettbewerbs in Deutschland, Wiesbaden 2023, S. 243–269.

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Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H.1-2-2024 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2024