Politischer Höhepunkt einer politikwissenschaftlichen Karriere Klaus von Beyme und die Studentenrevolte 1969
Die Revolution! Protest im »Ländle«
Das Jahr 1968 hat sich tief in die Historiographie der Bundesrepublik Deutschland eingegraben. Die Zahl der Artikel in den Feuilletons der Zeitungen und Fachzeitschriften zum »Jubiläum« 1968 ist Legion.[1] Auffällig ist dabei die Konzentration auf die Epizentren des Protests, etwa Berlin oder Frankfurt. Kurzum: Ist der Verlauf des Aufbegehrens insbesondere in jenen Städten bereits seit Jahren Gegenstand der Forschung,[2] nimmt selbige über die Provinz erst langsam an Fahrt auf.[3] Wer den Blick über die Tübinger Unruhen schweifen lässt, stößt auf die zentrale Rolle der Sozialwissenschaften als Ort des Streits. Zunächst rückte dabei die Soziologie – und mit ihr Friedrich Tenbruck – ins Zentrum der Entrüstung. Wenig später mussten sich auch die einzigen politikwissenschaftlichen Ordinarien Theodor Eschenburg und Klaus von Beyme den studentischen Forderungen stellen. Besonders letztgenannter geriet unter Beschuss – im wahrsten Sinne des Wortes mit Viktualien. Warum rieben sich die »Revoluzzer« besonders am jungen Beyme – damals gerade in seinen 30ern?
Wer über den studentischen Protest schreibt, kommt nicht umhin, den gesellschaftlichen Kontext sowie die Ereignisse an den Universitäten zu beachten. Auf eine kurze Erläuterung der damaligen Umstände an der Universität Tübingen folgt die Analyse der Faktoren für die Sichtbarkeit Beymes, wobei besonderes Augenmerk dem (partei-)politischen Engagement des frisch ernannten Hochschullehrers zukommt. Im Mittelpunkt steht der Zeitraum 1968/69 und damit die Phase der breiten Mobilisierung, bevor sich die Studentenbewegung Anfang der 1970er zersplitterte und (in Teilen) radikalisierte. Als Quellen dienen zeitgenössische Zeitungsdebatten, Protokolle, Briefwechsel und Memoiren ebenso wie Zeitzeugeninterviews. Der Ausblick erörtert Beymes Übergang an die Universität Heidelberg, dessen Turbulenzen durchaus (auch) auf das politische Engagement Beymes zurückzuführen sind.[...]
[1] Ein Überblick findet sich bei Eckhard Jesse, Sammelrezension: 1968–50 Jahre danach, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Jg. 31 (2019). i. E. Bereits im Jahr 2009 deutete sich die Flut an Texten an, vgl. Kristin Wesemann, Im Westen nichts Neues: Die 1968er-Forschung entdeckt Osteuropa, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Jg. 21 (2009), S. 259–281.
[2] Vgl. statt vieler Martin Wildermuth, Reform und Konflikt am Otto-Suhr-Institut 1968 bis 1972, in: Gerhard Göhler u. Bodo Zeuner (Hg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden 1991, S. 199–220.
[3] Vgl. etwa Hans-Gerd Schmidt, Die 68er-Bewegung in der Provinz. Vom Rock’n’Roll und Beat bis zur Gründung der Grünen in Lippe, Detmold 2013; Thomas Großbölting, 1968 in Westfalen. Akteure, Formen und Nachwirkungen einer Protestbewegung, Münster 2018; ferner zu Tübingen: Bernd Jürgen Warneken, Mein 68 begann 65. Eine Tübinger Retrospektive, Tübingen 2018.
Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2019 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2019