»Der Mensch klammert sich an Hoffnungen« Interview mit Fritz Heine über die Schwäche der Weimarer Arbeiterbewegung, den sozialdemokratischen Widerstand und die Zeit des Nationalsozialismus

Interview mit Fritz Heine Fritz Heine

Das folgende Interview mit Fritz Heine ist bereits im Jahr 1981 geführt worden, damals aus Anlass eines Sammelbandes mit Zeitzeugeninterviews zum Thema des sozialdemokratischen  Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Das Interview ist seinerzeit transkribiert und von Heine zum Abdruck freigegeben worden, das geplante Buch aber ist nie erschienen. Bei dem hier publizierten Interview handelt es sich mithin um den Erstabdruck eines Textes, der insofern zwar etwas in die Jahre gekommen, mit Blick auf den Schwerpunkt »Widerstand und Dissidenz« aber nichtsdestotrotz hochaktuell ist.

Herr Heine, wie konnte es passieren, dass diese große Organisation der Arbeiterbewegung so fulminant scheiterte, wie das 1932/33 geschehen ist? Vielfach wurde gesagt, dass das Ende der sozialistischen Bewegung und der Republik bereits mit dem Preußenschlag[1] fixiert gewesen sei, weil man den aktiven Widerstand versäumt habe. Während die einen behaupten, das Reichsbanner bzw. die Eiserne Front hätten Gewehr bei Fuß gestanden, besagt eine gegensätzliche Auffassung, es habe überhaupt keine Möglichkeit zum Widerstand gegeben. Wie haben Sie das damals als junger Mann, der beim Parteivorstand angestellt war, empfunden?

Na ja, soweit das noch in den Erinnerungen steckt, das ist ja nun viele Jahrzehnte her, waren wir jüngeren Leute an diesem Tage außerordentlich bedrückt, entrüstet, verwirrt, erbost, verärgert. Wir hatten natürlich gehofft, dass sich Widerstand gegen den Papen-Putsch formieren würde, obwohl klar war, dass bei der Millionenzahl von Arbeitslosen und bei der Machtkonstellation gegen die Preußenregierung, also gegen uns, schwerlich etwas zu machen war. Aber so rein impulsiv und vom Herzen her waren wir der Meinung, dass Widerstand geleistet werden müsste. In der Erinnerung sieht das anders aus. Ich sehe von heute her keine Möglichkeit, dass wir erfolgreich gegen den Papen-Putsch hätten angehen können. Die Stimmung damals war zwar deprimiert, auch voller Wut. Aber irgendwelche konkreten Reaktionsstrategien lagen nicht vor. Wir hatten darüber beim Parteivorstand in der Lindenstraße[2] natürlich unmittelbar nachgedacht, waren auf die Straße gegangen, hingen am Telefon; es hat aber offensichtlich keine Möglichkeiten gegeben. Wir erfuhren am nächsten Tag einiges über die Hintergründe der Passivität und über die Gespräche, die es zwischen der Parteispitze und den Gewerkschaften gegeben hatte. Ich glaube, dass die Stimmung, die uns erfasst hatte, also uns Jüngere, der Stimmung der meisten anderen Sozialdemokraten entsprach; aber es kam nichts an konkretem Widerstand heraus außer Kundgebungen, außer Erklärungen. […]

Anmerkungen

[1] Durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten wurde am 20. Juli 1932 die preußische Regierung unter Ministerpräsident Otto Braun (SPD) abgesetzt und Reichskanzler Franz von Papen zum Reichskommissar ernannt. Eine weitere Verordnung schränkte die Grundrechte
erheblich ein und stellte jeden ernsthaften Widerstand gegen den Staatsstreich – von Heine im Folgenden »Papen-Putsch« genannt – unter hohe Strafen.

Das Interview führte Franz Walter.

Seite ausdrucken Beitrag bestellen

Quelle: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 4-2017 | © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen, 2018